: Eingeschlossen im Düsentriebwerk
Die Maus macht Noise: Parallel zur „International Computer Music Conference“ gibt es im Podewil Laptop-Konzerte
Etwas verwirrt schienen nur die Uninformierten. Als sie beim Eröffnungskonzert der dieses Jahr erstmals in Berlin stattfindenden „International Computer Music Conference“ ICMC in der Philharmonie Einlass suchten, blieb der Konzertsaal verschlossen. Dafür drangen aus den überall in den Foyers der Philharmonie, des Kammermusiksaals und dem anschließenden Musikinstrumentenmuseum installierten Lautsprechern pünktlich zum angekündigten Konzerttermin plötzlich kakophonisches Cembalo-Geklimper und Tonmalereien mit nur schwer identifizierbaren Ursprungsquellen. Die Musik war nicht zu aufdringlich, man konnte sich bestens unterhalten und mit den Sektgläsern klirren und von Lautsprecher zu Lautsprecher zu wandern, während sich dabei ständig der Höreindruck veränderte. Das alles hatte etwas von einem angenehmen Spaziergang in einer akustischen Klanglandschaft.
„HPSCHD“ hieß die aufgeführte Komposition von John Cage und Lejaren A. Hiller, was für die englische Kennzeichnung von „Hapsichord“ – Cembalo – steht. Das Stück ist für 1-7 Cembali, 1-51 Tonbänder und 2-58 Lautsprecher gedacht, gilt wegen des enormen technischen Aufwands als kaum aufführbar und wurde in Berlin – wenn schon, denn schon – in der Maximal-Instrumentierung realisiert. Nur bei der Aufführungsdauer – die Soundtapete darf bis zu 24 Stunden lang sein – wurde mit einer guten Stunde etwas gegeizt.
Die Veranstaltung war ein gelungener Einstand in den konzertanten Teil der ICMC, des größten Computermusikfestivals der Welt, das nach Peking im letzten Jahr nun zum 26. Mal stattfindet. In der ungewöhnlichen Begehung und Beschallung einer Stätte wie der Philharmonie wurde der regelbrechende und neue Formen suchende Anspruch der elektronischen und der Computermusik unterstrichen und gleichzeitig der Geist von John Cage, einem der größten Klangentfesselungskünstler des letzten Jahrhunderts programmatisch für die Idee hinter der ganzen ICMC heraufbeschworen.
Die ICMC ist allerdings nicht nur Konzertausrichter, sondern vor allem ein Kongress, der sich der Schnittstelle Technik, Wissenschaft und Musik verschrieben hat. Aus „think tanks“ wie dem MIT sind Computertechnologen genauso angereist wie reine Computermusikkünstler. Der gegenseitige Erfahrungsaustausch von Programmierern und Anwendern ist dabei angedacht, neue multimediale Technik-Sound-Verzahnungen sollen diskutiert werden, und natürlich will man auch über so etwas wie einen eventuell neuen Trend innerhalb der Computermusik-Szene informiert werden.
Um deutlich zu machen, wie schwer inzwischen die Grenzen zwischen akademischer Computermusik und der dem Techno entwachsenen internationalen Laptop-Szene zu ziehen ist, hat die ICMC sich außerdem gleich noch eine Off-Veranstaltung dazu kuratieren lassen. In diesem Rahmen werden die einschlägigen Click- und Plucker-Tönchenschieber betonen, dass sie sich mit den Computermusik-Akademikern den gleichen soundhistorischen Stammbaum teilen und sehr wohl wissen, was sie Karlheinz Stockhausen zu verdanken haben.
Die erste große Laptop-Sause gab es dann bereits am Montag im Podewil, wo der Computermusik-Pionier Xenakis mit einem Live-Remix bedacht wurde. Ähnlich wie bei der aktuellen Remix-CD, die dem Türenknarzer Pierre Henry gewidmet ist, lässt sich auch hier darüber streiten, wie sinnvoll derartige Remixereien wirklich sind. Fatboy Slim klingt eben einfach wie Fatboy Slim und nicht wie Pierre Henry. Und wenn einer wie Masami Akita aka Merzbow sein Totalnoise-Konzept vom Stapel lässt, erinnert das daran, in einem Düsentriebwerk beim Flugzeugstart eingeschlossen zu sein, aber bestimmt nicht an Xenakis. Es ist dieser leicht gezwungen wirkende Kunst-Touch, der im Podewil wieder einmal etwas genervt hat. Man hatte dieses Galerien-Feeling von Rumstehen und schlecht umsorgt werden, während an allen Ecken und Enden die Maus-Tasten klickten. Licht aus, schummrige Autopsie-Visuals an, und Merzbows Seelenreiniger-Noise hätte geschockt wie der allererste Liveauftritt der Stooges. Wir fordern: Gebt der Off-ICMC mehr Off.
ANDREAS HARTMANN
Informationen zur ICMC 2000 unter www.icmc2000.org
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen