: Baumreste am Geesthang
■ Die Schönheit der Provinz, Teil 4: Auf Schloss Agathenburg, wo verbotene Liebeshändel mit Prinzessinnen zur allerlei üblen Morden führten Von Hajo Schiff
Hamburger Gebiet gehörte einst zu ganz unterschiedlichen Ländern: Dass Altona und Wandsbek bis 1866 zum dänischen Gesamtstaat zählten und über dem hannoverschen Harburg zu Zeiten der Personalunion die britische Flagge wehte, gehört zur Geschichte des 19. Jahrhunderts. Doch etwas früher war auch Schweden nicht weit: Das Alte Land, Buxthehude und Stade waren als Teil des säkularisierten Bistums Bremen von 1645 bis 1712 unter schwedischer Herrschaft. Und die hinterließ an der Unterelbe auch eines der sonst in unserer Gegend nicht so reichlich zu findenden Schlösser.
Allerdings war das Schloss Agathenburg nach einem Brand 1921, nach Umbauten und Vernachlässigung, kaum mehr als solches zu erkennen. Erst nach einer umfangreichen Sanierung durch den Landkreis Stade konnte es 1991 der Öffentlichkeit als Ort für Konzerte, Vorträge und Kunstausstellungen übergeben werden und nun wieder von seiner bemerkenswerten Geschichte künden.
Der kompakte Klinkerbau wurde 1655 im Auftrag des schwedischen Generalgouveneurs der Herzogtümer Bremen und Verden, Hans Christoph von Königsmark errichtet und nach seiner Frau, Agatha von Lehsten Agathenburg genannt. Doch die Familie hatte nur kurz Freude an dem Anwesen am Geestrand über der Elbmarsch. Schon 1694 wurde der Enkel und Erbe des Schlosserbauers ermordet, da er sich heimlich mit einer kurhannoverschen Prinzessin eingelassen hatte.
Die Erinnerung an noch berühmtere Liebeshändel umweht zudem das Gemäuer: Maria Aurora von Königsmark (1662 – 1728), schön, hochgebildet und nie verheiratet, hatte eine Liaison mit dem sächsischen Kurfürsten und späteren König von Polen, August dem Starken, und wurde die Mutter von Moritz von Sachsen.
Die Blütezeit des Anwesens ist inzwischen jedoch längst entschwunden und mit ihr der große Barockgarten in der Elbmarsch. Aber ein Bauerngarten wurde in barocker Manier vor dem Schloss neu angelegt, und die Reste des romantischen Baumparks am Geesthang und um die beiden Fischteiche sind einen Besuch wert, zumal die ganze Anlage durch jährliche Ankäufe der Kreissparkasse zunehmend in einen Skulpturenpark verwandelt wird.
Neben der kleinen Dokumentation zur Geschichte des Ortes sind es vor allem die Kunstausstellungen mit meist überregionalen Themen im großzügigen ersten Stock des Schlosses, die besondere Beachtung verdienen. Am Samstag wird dort eine Ausstellung von zeitgenössischen Arbeiten zum Thema „Landschaft“ eröffnet.
Natürlich sind die Arbeiten der fünf Künstlerinnen und Künstler aus Westdeutschland, Süddeutschland und Österreich nicht mehr auf die Wiedergabe der Natur ausgerichtet, sondern reflektieren den aktuellen, medialisierten und beschleunigten Umgang mit der Landschaft. Fotos aus dem fahrenden Zug, Graszucht in Form eines Autobahnnetzes, Gemälde nach Wetterkarten und zum Ornament erstarrte Alpengipfel oder Rosengärten reflektieren die Künstlichkeit, geographische Formen aus Eierschalen dagegen die Zerbrechlichkeit der Umwelt. Doch die scheint draußen, angesichts von Schloss, Garten und Dorfkrug an der Straße gegenüber noch recht in Ordnung und eher gemütlich – falls es einem gelingt, die vorbeirauschenden Züge zu überhören und die stark befahrene Bundesstraße zu überqueren. Hajo Schiff
Gebaute Horizonte (Sigrun Appelt, Doris Halfmann, Stefan Sehler, Günther Selichar, Günter Wintgens). Eröffnung: Samstag, 2. September, 18 Uhr; bis 15. Oktober, Di - Sa 14 - 18 Uhr, So 10 - 18 Uhr.
Schloss Agathenburg, Hauptstraße, 21684 Agathenburg (bei Stade) ist mit der S-Bahn bis Neugraben und weiter stündlich mit dem StadtExpress bis zur Station Agathenburg und dann in kurzem Spazierweg durch den Park in einer knappen Stunde zu erreichen oder mit dem Auto über die B 73; (Telefon 04141-64011)
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