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wir lassen lesenWie ein Sportfunktionär seine Biografie schönfärbte

Brauner Karrierist – Carl Diem

Der Name Carl Diem sorgt schnell für Unruhe. Der Gründer der Deutschen Sporthochschule (DSHS) in Köln-Müngersdorf war vor vier Jahren Auslöser hitziger Debatten in der Domstadt. Glühende Verehrer und verbitterte Widersacher stritten. Dabei ist der Nestor der Sportwissenschaft seit Jahrzehnten beigesetzt.

Doch Diems Erben lassen den Kampf nicht ruhen. Eine Neuveröffentlichung, die im Werkstatt-Verlag erscheint, sorgt für Nährstoff emotionsgeladener Diskussionen. Die Publikation „Der Sportführer: Die Legende um Carl Diem“ zeigt neue Angriffspunkte in der Vita des Sportorganisators auf. Bisher stand eine einzelne Rede vom März 1945 im Mittelpunkt der Kritik: Die Zeugenaussage des ehemaligen ZDF-Chefredakteurs Reinhard Appel. Als 17-Jähriger hörte er von Diem auf dem Berliner Reichssportfeld einen „flammenden Appell an die versammelte Hitlerjugend“, der die Jugendlichen dazu aufforderte, „den Opfertod nicht zu scheuen und wie Helden zu sterben“. Die jungen Buchautoren Achim Laude und Wolfgang Bausch wollen aufzeigen, dass diese Rede am Ende des Weltkrieges die logische Schlussfolgerung der Gesinnung Diems war und kein verbaler Ausrutscher. Die Autoren legen dar, dass der Sportfunktionär in der Zeit zwischen 1933 und 1945 Karrierist gewesen ist, „der auch unter den Nationalsozialisten seine Unentbehrlichkeit demonstrieren wollte“ und mit seiner „soldatischen Grundprägung“ dem Regime sehr nahe stand.

Schwerpunkt des Buches ist die Epoche der Nazizeit. Detailiert werden Diems erfolgloses Streben um das Amt des Reichssportführers, seine Rolle bei der Gleichschaltung des Sports sowie seine Aktivitäten bei den Olympischen Spielen in Berlin 1936 nachgezeichnet.

Neue Gesichtspunkte recherchierten Laude und Bausch in den faschistischen Jahren nach 1936. Als „Außenminister des deutschen Sports“ wird der Diplomat Diem bezeichnet, der im Auftrag der Nationalsozialisten die nicht stattgefundenen Olympischen Winterspiele 1940 nach Garmisch-Partenkirchen geholt hat. „Ein Täuschungsmanöver großen Stils“, sei dies gewesen.

Diems Ziel sei es gewesen, Verbesserungen des deutschen Einflusses in Europa zu erlangen. In seiner Rolle als Auslandsbeauftragter des NSRL, dem damaligen Sportverband, habe er über 270 Wettkämpfe mit internationaler Beteiligung allein auf deutschem Boden genehmigt, um die Regierung ideologisch zu unterstützen. Besondere Kritik erfahren die Vortragsreisen Diems zwischen 1943 und 1945, die er im Dienste der Auslandsabteilung des NSRL an die Front unternommen haben soll. Er habe „über 100 Vorträge im Rahmen der Wehr- und Truppenbetreuung gehalten, um zumindest noch in Deutschland selbst die Jugend zum finalen Opfergang zu ermutigen“.

Weiter heißt es: „Die bedingungslose Vaterlandsliebe sah Diem als Pflicht eines jeden Mannes und Soldaten an, auch wenn die Situation noch so hoffnungslos erschien. Diese Einstellung verlangte er auch von minderjährigen Jugendlichen.“

Diem sei nach dem Untergang der Diktatur nur durch einen von ihm verfälschten Fragebogen in der Lage gewesen, Rektor der Sporthochschule Köln zu werden. Er habe den alliierten Kräften erklärt, dass er nie Mitglied einer Gliederung der NSDAP gewesen sei und auch nicht für eine ihrer Gliederungen oder einen der angeschlossenen Verbände gearbeitet habe. Seine Tätigkeiten für den Nationalsozialistischen Reichsbund beweisen das Gegenteil, so die Autoren. In der jungen Bundesrepublik sei er in kürzester Zeit „absoluter Topfunktionär“ geworden. Diese Machtstellung habe er ausgenutzt, um die Personalpolitik zu steuern.

Den mehrfachen Deutschen Meister über Mittelstrecken, Otto Peltzer, der in der nationalsozialistischen Zeit öffentlich gegen Judenverfolgung eingetreten sei, habe Diem als „Monomane des Sports“ bezeichnet und ihm die Zukunft im Sportbetrieb der Bundesrepublik verbaut.

Achim Laude, ehemaliger Sportstudent in Köln, und Wolfgang Bausch, Journalist bei der TV-Sendung „Monitor“, setzen ihre Kritik auch in der Gegenwart an. Nicht nur Diem selbst wird angeklagt, sondern auch der Umgang mit dem Material des von Karl Lennartz geleiteten Diem-Archivs. In den letzten Jahren sei Wissenschaftlern der Zugang zum Archiv verwehrt worden, und Einzelheiten um den Gründer der Sporthochschule in der nationalsozialistischen Zeit seien bewusst verschleiert worden.

Die in ihren Augen mangelnde Aufklärung verschiedener Umstände liege aber auch bei Diem selbst. Wie kaum ein anderer habe er nach 1945 sich darum bemüht, alle Spuren des NS-Regimes sowohl im deutschen Sport als auch in seiner eigenen Vita zu verwischen.

CHRISTOPH BERTLING

Achim Laude, Wolfgang Bausch: „Der Sportführer: Die Legende um Carl Diem“, Werkstatt-Verlag 2000, 34 Mark

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