die stimme der kritik: Betreff: Volksdiplomatie
Hilfe für Schilling
Hiermit erlaube ich mir einen Vorschlag in Sachen des auf Jolo entführten US-Bürgers Schilling. Bekanntlich haben es die USA strikt von sich gewiesen, für die Entlassung von Schilling auch nur einen Shilling an die Abu Sayyad zu zahlen. Mit dem Argument, sich von niemandem, schon gar nicht von Muslimen erpressen zu lassen.
Nach den Regeln des gemeinen Rechts stellt sich eine unentgeltliche Geldzuwendung als Schenkung dar, also als Vertrag, der der Zustimmung des Bedachten bedarf. Würde nun Libyen als Zahler einspringen, so wären weder die USA noch der Gefangene Schilling Vertragspartner, sondern nur indirekte Nutznießer eines Akts der Entwicklungshilfe. Es hilft deshalb auch nichts, wenn der in den Ausdrucksformen antiker Rhetorik bewanderte Bill Clinton jetzt ausruft: „Timeo Danaes et donant ferentes“ (für die jüngeren taz-Leser: „Ich fürchte die Danaer, auch wenn sie Geschenke bringen“).
Verschiedentlich haben sich vorgebliche Kenner der arabischen Welt mit dem Argument zu Wort gemeldet, nie und nimmer würde Gaddafi in die Schatztruhe greifen, um das Leben des Angehörigen einer Nation zu retten, die ihm selbst – wenngleich vergeblich – nach dem Leben getrachtet hat. Diese Wüsten-Watcher legen eine einfache Elle – das Vergeltungsprinzip – auf eine komplexe ethische Situation an. Denn erstens gilt es als eine tägliche Pflicht gläubiger Muslime, Bedürftige zu beschenken. Und sind nicht Abu Sayyad wie auch – indirekt – der Amerikaner Schilling der Hilfe bedürftig? Und zweitens: Lehrt nicht das „Grüne Buch“, wo die Doktrinen der Volksdjumhurrja Libyen ehern niedergelegt sind, dass in den internationalen Beziehungen nicht die klassische Diplomatie, sondern die Volksdiplomatie der einfachen Leute Vorrang genießt? Und wer würde sich besser als Botschafter des guten Willens eignen als ein so uneigennützig freigekaufter US-Bürger?
CHRISTIAN SEMLER
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