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Gute Gouvernanten

Berlin war die Staatsstadt schlechthin, nichts nutzloser als Nutzer. Wie lässt sich ihre urbane Urgewalt aktivieren, nachdem Etats und Entwicklung am Ende sind? Auftakt der Serie „B. wie Bürgerstadt“

von HANS WOLFGANG HOFFMANN

Seit 1339 demonstriert im Pallazzo Publico von Siena ein Breitwandbild, wie sich Stadt entwickeln sollte: Es zeigt eine stolze Skyline, reges Markttreiben und Massen von Menschen, die aus der Fremde als Habenichtse kommen, um kaum hinter dem Stadttor zu saturierten Bürgern zu werden. Der Künstler Ambrogio Lorenzetti verrät auch die Ursache dieser Zustände: Das Werk trägt den Titel „Das gute Regiment“. Der Staat erscheint als der entscheidende Stadtentwickler.

Auch sieben Jahrhunderte später wird die Allegorie als aktuell ausgerufen. Als sich im Juli 3.800 Urbanisten aus aller Welt in Berlin trafen, um über die Zukunft der Stadt zu beraten, stand ihre Mehrheit in öffentlichen Diensten. Zum Auftakt von „urban 21“ verlangte Bundesbauminister Reinhard Klimmt einen stärkeren Staat, Gastgeber Eberhard Diepgen mehr Kompetenz für die Kommunen. Während des Kongresses hieß die universale Zauberformel, die zur Lösung urbaner Probleme am häufigsten beschworen wurde: „Good Governance“, der Staat als die Stadt bestimmende Steuerinstanz.

Dabei ist diese moderne Übersetzung des Guten Regiments zuvörderst dort gefragt, wo es etwas zu steuern gibt, wie es vor allem in Südostasien der Fall ist. Etwa in Singapur: Was vor einer Generation noch ein Fischerdorf war, hat sich inzwischen zur Global City aufgeschwungen, wobei sich die Kapitalzuströme weiter stauen. Folglich saugt Singapur alles auf, was Stadt auf Kurs zu bringen verspricht. Vorbildliche Verfahren findet es vor allem in Europa, wo sie entwickelt wurden, als hier ein vergleichbarer Wachstumsdruck herrschte. Heute bleiben die Metropolen des alten Kontinents – wie aus dem „Weltbericht zur Zukunft der Städte“ hervorgeht – indes längst hinter ihrem Umland zurück. Ihre Einwohnerzahlen sinken sogar stetig. Gleichwohl hält man auch hier am Primat der Good Governance fest, obwohl deren Instrumentarium, das primär darauf ausgelegt ist, Wachstumsschäden einzudämmen, naturgemäß kaum Impulse zur Überwindung von Stagnation verspricht.

Das Fallbeispiel Berlin erhärtet zudem den Verdacht, dass staatliche Steuerung die Stadt überhaupt erst ins Stocken gebracht hat. Einerseits hinkt die deutsche Kapitale heute wirtschaftlich hinter fast allen Großstädten des Landes her, bezüglich der Bevölkerung droht sie schneller auszusterben als die Bundesrepublik insgesamt. Andererseits war Berlin in der Vergangenheit die Staatsstadt schlechthin. Seit dem Ersten Weltkrieg begriff sich die öffentliche Hand hier nicht nur als Regulator, sondern erhob sich im Städtebau gleich selbst zum Hausherrn. Sie griff massiv in die Gesellschaftsgrundlage Boden ein, regierte in den allerprivatesten Bereich hinein – das Wohnungswesen. Im Ergebnis war 1990 fast die Hälfte der hiesigen Apartments gemeinwirtschaftlich gebunden, gehörte der öffentlichen Hand genauso viel Gemeindegebiet und damit mehr als in jeder anderen Kommune. Die Stadt war ein Versorgungsfall. Doch die behördliche Bauherrenschaft hat sich nicht eben als ertragreiches Entwicklungsmodell erwiesen: Egal ob die periphere Gropiusstadt oder das zentrumsnahe Heinrich-Heine-Viertel: alle Quartiere, die sie errichtete, zählen nicht zu jenen Bezirken, in denen Berlin brummt. Ebenso bestätigen das die Entwicklungsgebiete, in denen der Stamokap-Städtebau auch aktuell noch angewendet wird: Besonders in Biesdorf-Süd hat er weit weniger entwickelt als der private sonst an der Bundesstraße 5. Noch mehr als das Urbanitäts-Ergebnis entlarvt die fiskalische Bilanz das Staatssyndikat: Allein aus der Westberliner Wohnungsbauförderung zu Teilungstagen stammen satte vierzig Prozent der Schuldenlast, die die Kommune heute an den Rand der Handlungsunfähigkeit drückt. Das System hat sich selbst ad absurdum geführt.

Tatsächlich betätigen sich die Stadtväter nurmehr als Steuermänner. Längst wollen sie ihre Hausmacht nicht mehr ausbauen, was am deutlichsten wiederum im Wohnungsneubau wird: Wurden bis Mitte der Neunzigerjahre noch mindestens 10.000 Mieteinheiten per annum gefördert, sind es heute kaum mehr als hundert. Überdies übergibt die öffentliche Hand immer größere Stücke ihres Stadtschatzes an den Sektor, von dem allein Entwicklungsimpulse zu erwarten sind: den privaten.

Freilich nach Verfahren, welche die Stagnationsinsel Berlin bestenfalls ein Stück weit flott zu machen versprechen: Bau- und Bodenschätze wechseln den Besitzer gängigerweise gegen Höchstgebot, das nur gewerbliche Immobilienentwickler abgeben können, die nirgendwo zu Hause sind, insbesondere nicht hierzulande. Diese Praxis zwingt sie zu weiteren Immobilieninvestitionen, um die Mehrkosten des Erwerbs refinanzieren zu können. Der Stadt wird ein Bauboom beschert, nur ihre kapitalste Reproduktionsschwäche wird kaum kompensiert: Berlin bekommt keine neuen Bewohner. Fraglich ist auch der Kapitalgewinn des Stadtkämmerers. Da das Verkaufsverfahren die Bürgerschaft vom vorne herein ausschließt, wird sie es schwer haben, mit dem verordneten Upgrade Schritt zu halten. Verwerfungen sind vorprogrammiert, die mehr staatliche Fürsorge verlangen und nicht weniger.

Zum Selbstläufer geriete die Stadt erst, wenn jene, die sie nutzen (und damit natürlich auch ihr nutzen), zum Träger der Entwicklung würden: die gegenwärtigen und zukünftigen Bürger Berlins. Davon ist man hierzulande freilich weit entfernt. Im Bereich der öffentlichen Infrastruktur besitzt der Staat ein Versorgungsmonopol, in dem Ertrag keine Rolle spielt und Nutzer keine Akteure sind. Auch allen anderen Planungssektoren ist keine Gestalt eine so gegenstandslose Größe wie der zukünftige Gebraucher. Unter den Ortsansässigen ist rechtlich nur relevant, wer im Grundbuch steht, wem Bau bzw. Boden also auch gehört. Für Besitzlose gibt es zwar eine Bürgerbeteiligung, doch ist dem Gesetz schon Genüge getan, wenn die Betroffenen informiert werden. Beratungs- und Entscheidungskompetenz wird nur in Ausnahmen delegiert, meist als Almosen ausschließlich für sozial Benachteiligte. Dagegen kann der gemeine Bürger bestenfalls zu einem sehr unstädtischen Hausherren werden – sein Kapital reicht bloß für seine Residenz, die vom Staat nur raumblind gefördert wird.

Doch fehlt auch ihnen der Antrieb, Verantwortung zu übernehmen, wie sich bei der Wohnungsprivatisierung im Rahmen der Altschuldenhilfe bewies. Durch Amtshilfe kostete dabei ein Apartment kaum mehr als ein Mittelklassewagen. Überdies hätten sich theoretisch 400.000 der 1,6 Millionen Berliner Haushalte ein Eigenheim aus eigener Kraft leisten könnten. Gleichwohl ging nur ein Bruchteil der angebotenen Wohnungen – wie vom Gesetz gefordert – an Mieter und Eigennutzer. So ist noch viel Phantasie nötig, um die Nutzer für Berlin zu aktivieren.

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