: Jobmaschine Ökostrom
Seit 20 Jahren fragen Studien, welche Auswirkungen der Ausbau der regenerativen Energien auf den Arbeitsmarkt hat. Antwort: Eine halbe Million Leute finden in den nächsten Jahren Beschäftigung
Gute Nachrichten für die Verfechter der Energiewende: Allein im ersten Halbjahr dieses Jahres sind bundesweit 493 Windturbinen mit einer Gesamtleistung von 528 Megawatt (MW) neu an das Stromnetz gegangen. „So viel wie noch nie zuvor in den ersten sechs Monaten eines Jahres“, meint Heinrich Bartelt, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Windenergie (BWE) in Osnabrück. Am 1. Juli drehten sich damit 8.370 Rotoren, ihre installierte Leistung lag bei rund 4.970 MW, immerhin 11,9 Prozent mehr als Ende 1999.
Das Geschäft mit der Windkraft boomt, und das hat Konsequenzen. Händeringend suchen Hersteller und Komponentenlieferanten neue Mitarbeiter. Dabei ist das Spektrum der neuen Jobs breit gestreut. Vertriebsmitarbeiter werden für die Realisierung neuer Projekte gesucht; Ingenieure, Elektriker und Maschinenbauer brauchen die Turbinenbauer für ihre Fertigung. Ein Blick in die aktuellen Ausgaben der BWE-Verbandszeitschrift Neue Energie zeigt, wie viele Jobs allein an dieser Ökostromquelle hängen. Monteure und Montagemitarbeiter sucht die Mühlenschmiede Vestas, Techniker und Elektroingenieure möchte die Konkurrenz von NEG Micon einstellen. Insgesamt wurden nach Schätzungen des BWE in den vergangenen neun Jahren in Deutschland mehr als 15.000 neue Arbeitsplätze durch den Ausbau der Windenergie geschaffen. Allein der deutsche Marktführer Enercon beschäftigt über 2.500 Menschen, 1.000 davon in Aurich.
Vor allem in strukturschwachen ländlichen Regionen haben deutsche Mühlenschmieden ganz ordentliche Beschäftigungspakete geschnürt. Ob in Ostfriesland, Rostock oder im Westerwald: überall konnten Handwerker, Facharbeiter, Mechaniker, Dreher, Monteure und Schlosser beim Bau der Propeller wieder ein Auskommen finden.
Beim Öko-Institut in Freiburg haben Experten schon vor Jahren darauf hingewiesen, dass durch den zügigen Umbau der Energieversorgung und die Konzentration auf regenerative Energien allein in Deutschland bis zu 200.000 neue Arbeitsplätze entstehen könnten. Gerade der Ausstieg aus der Atomenergie mache den Weg frei für Investitionen in erneuerbare Energien.
Schaut man sich angesichts steigender Ölpreise die Perspektiven der Warmwasserproduktion durch Kollektoren an, dann könnte ein Boom beim solar produzierten Brauchwasser allein bis 2010 über 100.000 neue Jobs im Heizungs- und Sanitärbereich entstehen. „Mit der Kraft der Sonne lassen sich vor allem im Handwerk gute Beschäftigungsinitiativen anschieben“, meint Maximilian Gege, Vorstand des Bundesdeutschen Arbeitskreises für Umweltbewusstes Management (B.A.U.M.).
Selbst in alten Stahl- und Kohleregionen sind die neuen Arbeitsplätze, die im Zusammenhang mit Wind- und Sonnenkraft entstanden sind, nicht mehr zu übersehen. Nach Schätzungen der Landesinitiative Zukunftsenergien sind in Nordrhein-Westfalen in etwa 1.100 Betrieben rund 10.000 Mitarbeiter im Bereich der Regenerativen beschäftigt. Bei der letzten Erhebung 1998 lag ihre Zahl erst bei rund 3.400. „Das Erneuerbare-Energien-Gesetz hat der Branche einen regelrechten Boom gebracht“, meint Uwe Burghardt im Düsseldorfer Wirtschaftsministerium.
Würde die Brüsseler Kommission den Ausbau der regenerativen Energiequellen so unterstützen, dass sich bis zum Jahr 2010 ihr Anteil am Gesamtverbrauch tatsächlich von 6 auf 12 Prozent verdoppelt, dann könnte EU-weit mit rund 500.000 neuen Arbeitsplätzen gerechnet werden.
Viele Unternehmen schaffen den Sprung von der Old Economy in die solare Zukunft. Beispiel: Der weltweit größte Schraubenhersteller Würth produziert seit kurzem in einem alten Kohlekraftwerk am Neckar unterhalb von Marbach Solarzellen. Auf der brandneuen Fertigungsanlage werden hauchdünne so genannte CIS-Zellen hergestellt. Allein dort, so die Prognose von Geschäftsführer Bernhard Dimmler, wird die Zahl der Mitarbeiter von 12 auf über 100 innerhalb eines Jahres ansteigen.
Bereits im Dezember vergangenen Jahres hat die IG Metall ein umfangreiches Papier zum Thema „Energiearbeitsplätze der Zukunft“ veröffentlicht. Darin heißt es: „Die Arbeitsplatzintensität der erneuerbaren Energien beträgt das Fünfzehnfache der nuklearen.“ Im Rahmen eines breit angelegten Konversionsmodells könnten bei einem politisch gewollten Umbau der Energieversorgung auf ökologisch einwandfreie Stromquellen bis zum Jahr 2020 rund 500.000 neue Jobs bei uns entstehen.
MICHAEL FRANKEN
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