piwik no script img

Deri im Gefängnis

In Israel begleiten 10.000 Menschen den Exführer der orthodoxen Schas zu seinem Haftantritt wegen Korruption

JERUSALEM taz ■ Arieh Deri, Gründer und ehemaliger Führer der orientalisch-orthodoxen Schas-Partei, Exminister und einer der charismatischsten Politiker Israels, hat am Sonntagmittag eine dreijährige Gefängnisstrafe angetreten. Wegen erwiesener Unterschlagung von Staatsgeldern in Höhe von dreieinhalb Millionen Schekel und Bestechung war er schon vor eineinhalb Jahren vom Jerusalemer Bezirksgericht zu vier Jahren Gefängnis verurteilt worden. Das oberste Gericht hatte die Strafe letztes Frühjahr auf drei Jahre herabgesetzt.

Auf der 55 Kilometer langen Strecke zwischen Jerusalem und dem Ajalon-Gefängnis in Ramle bei Tel Aviv, wo Arieh Deri gestern um 12 Uhr antreten sollte, kam es zu Staus, zum Verbrennen von Autoreifen und Zusammenstößen zwischen aufgebrachten Pro-Deri-Demonstranten und der Polizei. Die inzwischen mit 17 (von insgesamt 120) Mandaten zur drittstärksten Partei angeschwollene Schas hatte in den letzten Tagen in Massendemos, Medienauftritten und emotionalen Plakaten Deri-Fans aus dem ganzen Land aufgerufen, den Expolitiker am Sonntagmorgen, einem Arbeitstag, mit Autokonvois von seinem Haus in Jerusalem zum Gefängnis zu begleiten. Über 1.000 Polizisten waren im Einsatz. Vor dem Gefängnis wurde Deri von Schas-Mentor Rabbiner Ovadia Josef, Parteiführer Eli Jischai, Funktionären und einer Menge von rund 10.000 Anhängern erwartet. Die Sympathiekundgebung artete in wütende Angriffe gegen Polizei, Grenzschutz und Journalisten aus. Schas-Aktivisten behaupten seit Deris Verurteilung, der Initiator der „sephardischen Revolution“ sei unschuldig und werde vom „aschkenasischen System“ wegen seines Charismas und seiner marokkanischen Abstammung verfolgt.

Das Schas-Phänomen gilt tatsächlich als soziale Revolution, bildet die Partei doch seit ihrer Gründung 1984 eine Plattform für Juden nordafrikanischer Herkunft, die ihre Diskriminierungsfrustrationen zum Ausdruck bringen wollten. Die zunehmend orthodoxer gewordene Partei legt es darauf an, das ursprünglich säkulare sephardische Proletariat zum Glauben „zurückzuführen“. Lockmittel sind religiöse Kindergärten und Schulen mit eigenem Transport und warmen Mahlzeiten. Um ihre Programme zu finanzieren, brauchte die Partei öffentliche Gelder, die durch ihre Teilnahme an allen Regierungskoalitionen garantiert wurden.

ANNE PONGER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen