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Augenschläge der Geschichte

Ausstellung in der Nikolaikirche erinnnert an deutschen Überfall auf Polen  ■ Von Heike Dierbach

Die junge Frau hetzt die zerstörte Straße entlang. Geduckt, auf Höhe der Barrikade. Ihr knielanger Rock flattert. Man erwartet, gleich ein Maschinengewehr zu hören. Ein Augenschlag der Geschichte, eingefangen in schwarz-weiß. Unsagbar kostbar heute, weil er Zeugnis ablegt. Der Name der Frau steht nicht unter dem Bild. Aber was sie war: Eine Meldegängerin. Sie läuft durch die Zlotestraße in Warschau. Im Spätsommer 1944. Um ihre Stadt von den Deutschen zu befreien. Die „57 Monate der Okkupation“ Polens schildert eine Ausstellung, die zur Zeit im Dokumentationszentrum der Nikolaikirche zu sehen ist.

„Die Vernichtung Polens steht im Vordergrund“, verkündete Adolf Hitler Ende August 1939, kurz vor dem Überfall auf das Nachbarland. Die erste Tafel der Ausstellung, die das Warschauer Unabhängigkeitsmuseum konzipiert hat, stellt neben das Zitat Hitlers nur ein Bild. Fast schlicht mutet es an: Ein junges Mädchen, 14, 15 Jahre vielleicht, hält ein Baby schützend im Arm. Im Hintergrund rauchen Ruinen. Das Bild ist ein Titel, eine Zusammenfassung dessen, was die polnische Gesellschaft nach dem 1. September 1939 erlitten hat.

Die Ausstellung zeigt sämtliche Facetten der Besetzung: Den Einmarsch, die brutalen Verhaltensregeln für die polnische Bevölkerung, die Vertreibungen, die Ghettos, die Konzentrationslager. Dadurch bleibt für jedes einzelne Thema nicht viel Raum. Dafür bekommt der Betrachter einen Eindruck, wie allumfassend die Deutschen von Anfang an den Alltag in Polen beherrschten. Da sind Fotos der polnischen Intelligenz, die die Nazis gezielt ermordeten. Ein Planungsmodell von Warschau: Die Nazis wollten aus der Hauptstadt eine Provinzstadt mit 130.000 EinwohnerInnen machen. Da ist das hübsche Schild der „Gaststätte zur Linde“ mit der Aufschrift: Für Polen Zutritt verboten. Die Original-Bekanntmachungen der Besatzer.

Die Präsentation ist schlicht: Fotos auf grauem Karton, ein paar Kleidungsstücke in Schaukästen, zur Verfügung gestellt vom Jüdischen Institut in Polen. Es sind die kleinen, die persönlichen Szenen, die das millionenfache Leid erfühlbar machen: Der Mann, der einen Handkarren mit seinen Habseligkeiten in Richtung Ghetto schiebt. Manchmal ist es aber auch nur eine lapidare Information; „Es verging kein Tag ohne Hinrichtungen.“ Und auf vielen, vielen Fotos sieht man die Deutschen dazu lachen. Grinsen. Erkennt man, dass sie ihre Opfer verspotten. Dass sie stolz sind.

Die PolInnen mussten den Krieg in Europa am längsten ertragen, hatten im Verhältnis die meisten Opfer: 220 auf 1000 EinwohnerInnen. Und sie litten unter der sowjetischen Besetzung, der die Ausstellung ebenfalls einige Tafeln widmet. Aber – und das zu zeigen, ist ein wichtiges Anliegen der Ausstellung – sie wehrten sich. Mutig, entschlossen, gut organisiert. Beim Aufstand im Warschauer Ghetto 1943 leisteten Juden und Jüdinnen zehn Wochen lang Widerstand. Und der Warschauer Aufstand vom 1. August bis 2. Oktober 1944 war die größte militärische Operation der Widerstandsbewegung in Europa. PolInnen kämpften auch mit Phantasie und Witz gegen die deutsche Barbarei: Ihre illegalen Karikaturen füllen eine Tafel. „Gott mit uns“, steht unter einer Zeichnung: Hitler führt einen gefesselten Jesus ab.

Der Förderkreis „Rettet die Nikolaikirche“ hat die Ausstellung nach Hamburg geholt. Vizevorsitzender Andreas Nowakowski hofft, dass vor allem viele Schulklassen sie besuchen. Denn die Erinnerung, ergänzt der polnische Generalkonsul Mieczyslaw Sokolowski, ermahnt „das Gute zu suchen – und zu tun“.

„57 Monate der Okkupation“ ist noch bis 31.3.2001 zu sehen, täglich 10-16 Uhr, Nikolaikirche, Am Hopfenmarkt. Eintritt 3 Mark

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