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Renntag in Absurdistan

■ Im skurrilen Ambiente des Parkhauses am Brill demonstriert der Autor Alexej Schipenko, dass wenige gute Ideen allein noch kein Theaterstück machen. Trotz guter DarstellerInnen des Jungen Theaters dominiert auf der Bühne die Belanglosigkeit

Irgendwo im Osten, weit hinter dem Meer der Verzweiflung und dem hoffnungslosen Gebirge, liegt Dingistan. Ein Land so trostlos wie eine schmutzige Asphaltdecke, regiert vom dauertrunkenen, durchs Volk gewählten und von Gott geschickten Demokratodespoten Drago Milo (kleines Wortspiel für Jugoslawien-ExpertInnen!), der mit Vorliebe in seinen Wohnzimmerblumentopf pinkelt.

Damit endlich das Geld einmaschieren möge in den Aufbau von Dingistans „Democrazie“, veranstaltet Milo „The Race“: Ein publicityträchtiges Autorennen quer durchs Land, an dem die internationale Rennelite teilnimmt. Der Startschuss fällt. Und vorbei an der obligatorischen Cola-Bandenwerbung im sechsten Stock des Parkhauses am Brill setzen ein Praktiker-Rasentraktor mit der österreichischen Königin Sissi am Steuer, Mexikos Juan Speedy Gonzales im Schumi-Kart sowie Norwegens Hoffnung Sören Olafson auf einem altertümlichen Seitenwagenmotorrad an zum abwegigsten Auto-Rennen der Theatergeschichte.

Denn die Reise an diesem ungewöhnlichen Theaterort, die der russische Dramatiker Alexej Schipenko speziell für das Ensemble des Jungen Theaters ersonnen hat, führt ins Nirgendwo. 334 Tage oder auch mehr suchen Sissi, Speedy und Sören in diesem abstrusen Staat auf sinnlosen Karten einen nicht vorhandenen Weg, brettern immer wieder an den Klappstuhlreihen des staunenden Publikums vorbei und verlieren sich zunehmend in jenen Untiefen von Land und Seele, aus denen es zumindest per motorisierten Untersatz keinen Ausweg geben kann.

Je kälter die Bremer Nacht übers Parkdeck kriecht, desto trauriger ist auch die Szenerie, mit der der Berufsfatalist Schipenko die BesucherInnen am Ende zwei Stunden lang konfrontiert hat. Während Milo (Mateng Pollkläsener) vor dem heimischen TV Videos mit den spektakulärsten Rennautounfällen goutiert, rennt Speedy (Erkan Altun) verzweifelt vor einem geheimnisvollen Doppelgänger (Mesut) davon. Sören (Denis Fischer) trifft seine große Liebe Tutonka (Andrea Liebezeit), an der er zwanzig Jahre später in einem Pariser Café ersticken wird. Und die biedere Sissi (Iris Pickard) schließlich entdeckt den rothaarigen Vamp in sich, was sich aber nicht positiv auswirkt auf ihre unglückliche Liaison mit dem gewalttätigen Milo. Ein ständig Eier legendes Huhn und kurze Werbeunterbrechungen, bei denen der sich mit allen Situationen perfekt arrangierende Milo zwei knautschige Lenkergriffe nach dem Motto „It's orange, but it's not a sex toy“ anpreist, komplettieren das absurde „Race“-Szenario. Was sich womöglich amüsant liest, entpuppt sich in der theatralen Umsetzung über weite Strecken als zähe Nummernrevue. Schipenkos berüchtigt spontaneistische Arbeitsweise, bei der jede noch so vage Idee unbearbeitet ins Skript fliest, zwingt den Betrachter zum Erdulden so mancher Länge.

„The Race“ hat mit einem durchdachten Theaterstück wenig gemein, ist kaum mehr als ein Abbild der heftig assoziativen Gedankenströme seines Autors. Die oft vom Tonband eingespielten Redebeiträge der DarstellerInnen sind im Grunde die vertonten Aphorismen eines kopfschmerzverliebten russischen Gottsuchers, der Mystik, Marktwirtschaft und Melancholie zu abgründig-humanistischen Weltkommentaren verquirlt.

Schipenko gelingen dabei durchaus hinreißende Szenen. Die Inszenierung eines Überfalls auf eine Modelleisenbahn im Stile von Westernfilmen zertrümmert alle USA-Mythen in Sekunden. Und in einer wundervollen langen Sequenz gegen Ende des Stücks, in der zu herzergreifender Musik ein Mann zur Frau und eine Frau zu einer ganz anderen Frau wird, in der die schnellste Maus von Mexiko ihre Runden dreht und Parkhausarbeiter überfährt, wo grün leuchtende Pistolenkugeln ihre Bahnen ziehen und Milo davon träumt, in Omas friedlichen Garten zurückzukehren, während im selben Moment Michael Schumacher auf einem eingespielten Video erläutert, warum das Rennen immer weitergehen muss, entfaltet Schipenko voller Poesie das pralle Leben in seiner ganzen abgründigen Gleichzeitigkeit.

Allzu oft entfaltet Regisseur und Autor Schipenko aber eben auch Nichtssagendes vor den Augen des Publikums, langweilt mit unausgereiften Nichtigkeiten oder redundantem Pseudotiefsinn, die sich als anspielungsgesättigte Kommentare über Gott und die Welt im Allgemeinen sowie über das unergründliche Osteuropa im Besonderen gerieren. In einem engen verqualmten Kellerloch bei schummrigem Licht und in Gesellschaft angetrunkener LebenskünstlerInnen hätte selbst das womöglich einen gewissen Undergroundcharme. In einem Theater aber, selbst wenn es aussieht wie ein riesiges Kellerloch, trägt das nicht einen ganzen Abend – obwohl die SchauspielerInnen zweifellos ihr bestes geben.

Franco Zotta

Die nächsten Termine von „The Race“ im Parkhaus am Brill: 6., 7., 9., 12.-16. u. 19.-21. September, jeweils um 20.30 Uhr. Wer stilecht mit dem Pkw anreist, kann zum Sondertarif von 3 Mark parken. Karten gibt es beim Jungen Theater unter Tel.: 700 141, Internet: www.JungesTheater.de

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