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Durch Penetranz zum Glück

Ein romantisches Dilemma: Die Hongkong-Love-Story „Sealed With A Kiss“ von Derek Chiu beim Beta-Filmfest

Man kennt das zur Genüge: Im Augenblick größter körperlicher Nähe, eines ersten ungeschickten Herantastens, geht alles ein bisschen schief, und plötzlich liegt eine Melodie in der Luft. Fortan kehrt sie immer wieder, wie ein bedeutungsschwangeres Leitthema, das sich im Kopf festgesetzt hat und situativ zu voller Lautstärke anschwillt, als müsse es die Liebenden durch Penetranz erst zu ihrem Glück zwingen. Aber diese wollen es einfach nicht bemerken.

Bobby Vintons 60er-Teenie-Schnulze „Sealed With A Kiss“ erfüllt in Derek Chius gleichnamiger Love-Story eine ähnliche Funktion wie die „Love & Peace-Hymne „California Dreaming“ in Wong Kar Wais „Chung King Express“. Der Schmalz, die schmerzhafte Melodramatik und entwaffnende Groschenromanlyrik der Musik machen empfänglich für einfachste emotionale Schlüsselreize, wie sie nur noch das Hongkong-Kino glaubhaft verkaufen kann. Als immer wiederkehrendes Motiv erlangt der Song „Sealed With A Kiss“ seine zentrale Bedeutung innerhalb der herzerweichenden Liebesgeschichte zwischen dem stummen Kam Shui und Mandy jedoch nur für die verzweifelte Erkenntnis der Unmöglichkeit ihrer Liebe. Ein romantisches Dilemma. Wie soll man seine Gefühle angemessen ausdrücken, wenn man die Sprache der Liebe nicht beherrscht?

Diese Unfähigkeit hat jedoch nichts mit der Stummheit Kam Shuis zu tun, im Gegenteil: Er wird im Film der Einzige bleiben, der seine Gefühle – wenn auch nur durch einen Trick – erwidert sieht. Kam Shui lehrt Mandy das Zeichen für „danke“ in seiner Sprache, und natürlich lautet dessen tatsächliche Bedeutung „Ich liebe dich“. In der Folge wird jede seiner ritterlichen Hilfeleistungen mit einem gestischen Liebesbeweis entlohnt.

Es bleiben die einzigen Momente, in denen es Kam Shui gelingt, seinen Emotionen Ausdruck zu verleihen. Ansonsten müssen Objekte als Repräsentanten herhalten, sie dienen als Medien zwischen den unscharfen Gefühlswelten der Protagonisten: der Pager Mandys, der ihr allerdings keinen Kontakt mehr zu ihrem Exfreund vermittelt, ein gackerndes Gimmick-Feuerzeug, der Mini-Disc-Player, der nur dieses eine Lied, eben „Sealed With A Kiss“, kennt, die Mundharmonika Kam Shuis, die immer nur dieses eine Lied spielt (im Augenblick ewiger Dunkelheit, als es bereits viel zu spät ist, spricht sie bezeichnenderweise die deutlichste Sprache), etc.

In den schönsten Momenten des Films löst sich die sanfte Beharrlichkeit, mit der der Song „Sealed With A Kiss“ auf dem definitiven Liebesgeständnis insistiert, in eine verschüchterte Unbedarftheit auf, die tatsächlich nur noch eines letzten Zeichens, einer einzigen Bewegung bedarf, um die unsichtbare Barriere zwischen Kam Shui und Mandy niederzureißen.

Die eigentliche Tragik liegt jedoch in der Blindheit der beiden. Sie scharwenzeln besinnungslos umeinander herum. Bis zum bitteren Ende. ANDREAS BUSCHE

„Sealed With A Kiss“. Regie: Derek Chiu. Mit Louis Koo, Yoyo Mung u. a. Hongkong 99, 95 Min. Heute, 20 Uhr,6. 9, 22.15 Uhr, Hackesche Höfe

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