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Sommerferien in Kreuzberg

Solidarität heißt Hammer und Nagel in die Hand nehmen: Dreizehn junge Menschen aus sieben Ländern bauten im Tommy-Weissbecker-Haus einen Raum für junge Treber aus. Es war das erste Sommercamp des Service Civil International in Kreuzberg

von BERT SCHULZ

Vom Hof des Tommy-Weissbecker-Hauses klingen zarte Mozartklänge aus dem Radio und – eine etwas seltsame Mischung – laute Hammerschläge herauf. Von Giuseppe stammen sie nicht: Er fläzt sich entspannt auf dem fast fertig renovierten Dach des Werkzeugschuppens und genießt den lauen Vormittag. Zwei seiner Kollegen werkeln derweil noch an einigen Holzstücken.

Auch hier oben, in einem kleinen Zimmer im zweiten Stock des schon 1973 besetzten Hauses, ist die Arbeit nahezu beendet. Wenige Schrauben fehlen noch an der Konstruktion des Hochbetts. Große 10-Liter-Farbeimer, ein Stichsäge und anderes Werkzeug auf dem Boden sowie jede Menge wild übereinander gestapeltes Gerümpel auf dem Flur zeugen von der Werkelei der vergangenen zehn Tage.

13 junge Menschen, darunter auch der 26-jährige Giuseppe, richteten das Zimmer her, entrümpelten es, füllten Löcher in den Wänden auf, strichen die Fenster und bauten schließlich das Hochbett. Die 13 sind höchstens Hobbyhandwerker, wenn überhaupt, und sie kommen aus sieben europäischen Ländern: aus Finnland und Portugal, der Schweiz und England, aus Italien, Spanien und Deutschland.

In Berlin zusammengebracht hat die jungen Menschen zwischen 16 und 25 Jahren ein Sommercamp des Service Civil International (SCI). Die Organisation war 1920 unter dem Eindruck des Schreckens des 1. Weltkrieges gegründet worden. Sie vermittelt Freiwillige für internationale Workcamps in aller Welt im Bereich Friedensarbeit, Arbeit mit Minderheiten, im Natur- und Umweltschutz und mit Kindern und Jugendlichen. Zum ersten Mal auch in ein Camp im Tommy-Weissbecker-Haus, ein Trebe- und Wohnprojekt in kollektiver Selbstorganisation in Kreuzberg. Benannt ist es nach ei- nem ehemaligen Mitglied der „Haschrebellen“, das 1972 von der Polizei erschossen wurde.

„Unser Haus ist Anlaufpunkt für Treber zwischen 14 und etwa 24 Jahren“, berichtet Tille, der sich zusammen mit den anderen Hausbewohnern um das Workcamp kümmert. Junge Obdachlose finden dort ein Bett. Für einige besteht auch die Möglichkeit, nach einer Übergangsphase ins Haus einzuziehen. Die Grundregeln: keine Gewalt, kein Klauen, keine harten Drogen. Träger der Treberhilfe ist der Verein Sozialpädagogische Sondermaßnahmen. Erst vor mehreren Tagen seien zwei 14- und 16-jährige junge Frauen aus Westdeutschland kurzzeitig aufgenommen worden, die von zu Hause abgehauen waren. Für Menschen wie sie ist der von den freiwilligen Helfern frisch renovierte Raum bestimmt.

Das Sommercamp war eine Herausforderung für beide Seiten, die Bewohner des Hausprojekts und die Campteilnehmer. Außer den Betreuern Björn und Andi wollte eigentlich keiner der Freiwilligen nach Berlin kommen, berichtet Daniele aus der Nähe von Bologna. Für den 19-Jährigen war es sogar nur die vierte Wahl auf der Wunschliste. Aber die Plätze für die anderen Seminare waren bereits vergeben. Gereizt hat ihn, wie er lächelnd meint, neben dem Projekt dann auch der Party-Faktor Berlins.

Etwas geschockt reagierten die meisten bei ihrer Ankunft – auch Björn und Andi. Die bunt bemalten Hauswände, die vielen Hunde und ihre BesitzerInnen, die Außenstehende wohl als „freakig“ beschreiben würden, die Diskussionskultur des Hausprojekts: So hatte sich vermutlich kaum eineR der 13 Europäer, fast alle StudentInnen, ihre Wirkungsstätte vorgestellt. „Zwei bis drei Tage“ dauerte es, bis sich die Gruppe daran gewöhnt hätte, meint Daniele. „Nette Leute sind das hier“, hatte Erica aus Südengland dann schnell herausgefunden, auch wenn die Hausbewohner „a bit scary“ seien.

Zum Gelingen hat schließlich auch das Programm beigetragen. Arbeit, Essen, Ausflüge – alles wurde von den 13 jungen Menschen während der zwei Wochen gemeinsam geplant und organisiert. „Die Gruppe hat gut zusammengefunden“, freut sich Teamer Björn. Fünf Stunden pro Tag war Arbeit angesagt. „Hart, aber nicht sehr schwierig“, sei die Aufgabe gewesen, urteilt Maud, die in Genf Medizin studiert. „Jedenfalls kein Urlaub“, meint Erica. Spaß habe es ihnen trotzdem gemacht, das Zimmer und den Schuppen zu renovieren, schließlich konnte man auch wie Giuseppe mal eine Pause einlegen. Oder sich der Gestaltung einer Webpage widmen, auf der die Erfahrungsberichte der Mitabreiter des Camps in sieben Sprachen zu lesen sind.

Dazu gab’s Ausflüge: auf die Kuppel des Reichstags – „cool“, ist dazu Ericas Kommentar –, Besichtigung anderer selbst verwalteter Projekte und ein Trip zum KZ Sachsenhausen am 1. September, dem Antikriegstag. Übernachtet wurde auf zwei Matratzenlagern im Haus, immerhin komfortabler als im Zelt.

Das Camp, das am Sonntag zu Ende ging, war erfolgreich für beide Seiten. Erica würde gerne nächstes Jahr noch einmal vorbeikommen, um zu sehen, was aus ihrer Arbeit geworden ist. Und Tille denkt laut darüber nach, ob man das Camp im Tommy-Weissbecker-Haus wiederholen sollte. „Eine Woche länger und vielleicht unter eigener Regie: Dann könnten die Teilnehmer die 170 Mark Vermittlungsgebühr des SCI sparen.“

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