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PRO: KEINE ANGST VOR VOLKSABSTIMMUNGEN ÜBER DIE OSTERWEITERUNGFarbe bekennen

Die Forderung von EU-Kommissar Günter Verheugen nach einer Volksabstimmung über die Osterweiterung der Union hat einen gravierenden Nachteil: Er meint sie nicht ernst. Schon in dem viel zitierten Interview in der Süddeutschen Zeitung nahm er seine eigene Forderung zurück, indem er darauf hinwies, dass „ein solches Referendum derzeit in Deutschland nicht möglich“ sei, weil dazu die Verfassung geändert werden müsste. Dies ist zwar richtig, aber keine unüberwindbare Hürde. Das Grundgesetz wurde schon für sinnlosere Dinge geändert – man denke an das Asylrecht.

Wenn sich Verheugen ernsthaft für eine Volksabstimmung stark machen wollte, hätte er keinen provozierenden Alleingang gestartet. Ausgerechnet an einem Wochenende, an dem sich Joschka Fischer mit seinen europäischen Kollegen traf, überraschte der Kommissar mit einer Forderung, die der bisherigen Linie der Bundesregierung komplett widerspricht. Fischer reagierte daher besonders scharf auf einen Vorschlag, der es verdient hätte, ernst genommen zu werden.

Eine Volksabstimmung über die Osterweiterung und der damit verbundene „Wahlkampf“ würden alle Parteien in Deutschland zwingen, Farbe zu bekennen. Die Regierung müsste endlich klar sagen, wie der Beitrittsprozess geregelt werden soll. Gerhard Schröder könnte sich nicht mehr auf vage Absichtserklärungen beschränken – sondern müsste klar sagen, dass die Osterweiterung eine der wichtigsten Aufgaben seiner Kanzlerschaft ist. Und vor allem: eine Herzensangelegenheit. Ganz im Sinne von Willy Brandt, den er so gern zitiert. Auch die Union könnte sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Aus wirtschaftlichen Gründen ist sie für die Osterweiterung. Wenn es zu einer Volksabstimmung käme, müsste sie eine entsprechend positive Kampagne mittragen und könnte nicht nebenher mit zweideutigen Aussagen auf Stimmenfang bei den Gegnern gehen. Und: Wenn alle demokratischen Parteien für ein Ja werben würden, stünden die Chancen nicht schlecht.

Natürlich wäre eine Volksabstimmung trotzdem ein Risiko. Die Erweiterungsgegner würden sich organisieren, rassistische Sprüche würden laut werden und für enorme Verwirrung sorgen – vor allem in Polen. Aber: Diese Sprüche werden ohnehin kommen. Im Falle einer Volksabstimmung wären die Chancen größer, dass sie in der rechten Ecke bleiben. Die Gefahren wären entschieden größer, wenn die Osterweiterung nur von den politischen Eliten abgewickelt würde. Die Rechten könnten wirklich auf Stimmenfang gehen, wenn die negativen Folgen der Osterweiterung spürbar würden – mit dem Argument, das Volk sei nicht gefragt worden. LUKAS WALLRAFF

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