Der bräsige Freund der PDS

von HEIKE HAARHOFF

Der Nachteil von so einem üppig bestückten Büffet ist, dass man es beim besten Willen nicht schaffen kann. Es sei denn, man packt es ein. Was spricht schon gegen eine kleine Wegzehrung? Die Pressekonferenz zur Ostseeautobahn ist beendet, der Saal leert sich, zurück bleibt viel gutes Essen. Und Harald Ringstorff. Beherzt greift er zu Apfel und Apfelsine. Sollen die anderen von ihm denken, was sie wollen. Beispielsweise, dass ein ostdeutscher Ministerpräsident elf Jahre nach der Wende andere Gedanken haben könnte, als den Obstkorb zu plündern. Oder dass die sich nun anschließende Jungfernfahrt über die halbfertige Autobahnpiste zwischen Rostock und Wismar sicher auch ohne Proviant zu überstehen wäre. Es schert ihn nicht. Nicht mehr.

Nach allem, was dem Sozialdemokraten Harald Ringstorff an Eigensinn und Sturheit zugeschrieben worden ist von den Medien, von politischen Gegnern, von der eigenen Partei, kommt es auf eine Belächelung wegen eines Apfels und einer Apfelsine nicht an. Der Mann mit fast 61 Jahren Lebenserfahrung, die letzten elf davon in der Politik, verlässt sich ohnehin lieber auf sich selbst als auf die Urteile Dritter. Darin bestärkt hat ihn die Landtagswahl im Herbst 1998, aus der er als klarer Sieger und erster sozialdemokratischer Regierungschef von Mecklenburg-Vorpommern hervorging, um dann mit der PDS die bundesweit erste rot-rote Koalition zu bilden.

Ein Novum. Ein Tabubruch. Es gehörte damals durchaus zum guten Ton, die SED-Nachfolgepartei trotz ihres Wählerstimmenanteils von mehr als 20 Prozent in Ostdeutschland als Bündnispartner schlichtweg zu ignorieren. Allenfalls von den Sozialisten tolerieren lassen mochte im benachbarten Sachsen-Anhalt die SPD ihre Minderheitenregierung. Aber die PDS als gleichwertigen Partner anerkennen, wie Ringstorff es forderte?

Die Wirtschaft im nordöstlichsten Bundesland würde nunmehr zum Erliegen kommen, die Arbeitslosigkeit einen traurigen Rekord erreichen, zeterten Konzerne, Industrieverbände und Konservative. Der damalige CDU-Generalsekretär Peter Hintze gar sah den Untergang des Abendlands gekommen. Und die Autobahn 20 von Polen nach Lübeck müsste eigentlich gar nicht mehr gebaut werden, weil sich angesichts der landespolitischen Verirrung ohnehin kein Tourist und kein Güterverkehr mehr nach Mecklenburg-Vorpommern wagen würden.

Bewährtes Bündnis

„In Ostdeutschland muss man manches anders machen“, hat Harald Ringstorff seinen Kritikern damals in sehr ruhigem Ton geantwortet, wahlweise auch, beinahe väterlich: „Wir sind selbstbewusst genug, um zu entscheiden, was für Mecklenburg-Vorpommern gut ist.“ Und dann war da noch davon die Rede, dass niemand mehr „wegen seiner Biografie als DDR-Bürger“ diskriminiert werden solle.

Zwei Jahre später hat das rot-rote Regierungsbündnis Halbzeit und Mecklenburg-Vorpommern gemessen an der Einwohnerzahl die bundesweit höchsten Zuwachsraten im Tourismus zu verzeichnen. Die Arbeitslosigkeit ist mit 17,3 Prozent zwar immer noch viel zu hoch, aber die Ostseeautobahn wächst täglich um mehrere Kilometer, und Harald Ringstorff steigt gut gelaunt in den Bus, der ihn über die ersten Abschnitte bringen wird.

„Ich kann mir eine Fortsetzung der Koalition mit der PDS sehr gut vorstellen“, sagt er, so als spreche er von seiner Girobank oder seinem Deo oder seiner Lokalzeitung: Es gibt Dinge im Leben, die man nicht alle naslang wechselt, zumal dann nicht, wenn sie sich bewährt haben. Für die drei Schweriner PDS-Minister in den Ressorts Arbeit, Umwelt und Soziales gelte das allemal. „Sie arbeiten konstruktiv“, lobt Harald Ringstorff. Er könnte auch sagen: Ihre Dankbarkeit, überhaupt mit am Kabinettstisch sitzen zu dürfen, hat die einst „Systemoppositionellen“ (PDS-Chef Holter über PDS-Chef Holter) handzahm gemacht. In dem steten Bemühen, ihre Regierungsfähigkeit unter Beweis zu stellen, sind sie in der Finanz- und Sozialpolitik oftmals pragmatischer als manche von der SPD.

Nicht, dass Harald Ringstorff der PDS das als Schwäche auslegen würde. Es entspräche nicht seinem Verständnis von Loyalität und Fairness. Also sagt er bloß: „Ich bin froh, dass das Klima recht ordentlich ist.“ Tatsächlich ist die SPD-PDS-Regierung Umfragen zufolge beliebter als ihre Vorgängerin, eine von der CDU angeführte große Koalition, die sich vier lange Jahre von Misstrauensantrag zu Neuwahldebatte quälte und unter der Harald Ringstorff seinen politischen Traum wohl kaum hätte verwirklichen können: Ministerpräsident zu sein und „mit den Menschen hier weiterhin Platt reden zu können“. Nicht mit der Schlagfertigkeit einer Heide Simonis, nicht in dem kumpelhaften Plauderton eines Ortwin Runde, den beiden SPD-Regierungschefs aus den Nachbarländern Schleswig-Holstein und Hamburg. Sondern gern in braunen Halbschuhen, kombiniert mit dunkelblauem Goldknopfanzug, die Hände auf dem Rücken verschränkt, die Wortwahl eher schlicht.

Der promovierte Chemiker Harald Ringstorff ist kein Staatsmann, aber anders als andere findet er an seiner Bodenständigkeit und seinen fehlenden bundespolitischen Ambitionen nichts Peinliches. „Ich kann mir nur schwer vorstellen, außerhalb von Mecklenburg-Vorpommern zu leben, Berlin beobachte ich aus einer gewissen Distanz.“

In Sachen Rechtsextremismus hat Harald Ringstorff in diesem Sommer zwar an die Bevölkerung und an die Zivilcourage appelliert. Er hat an Demonstrationen teilgenommen und Reden gehalten, als zuletzt in den schmucken Kurbädern und verträumten Städtchen Menschen zu Tode getrampelt wurden, als handele es sich um ein Wochenendritual. Die Polizeipräsenz wurde verstärkt, und beschleunigte Gerichtsverfahren wurden durch den Generalstaatsanwalt angemahnt. Dass er aber ein NPD-Verbot unterstützen würde, gegen Skinheads und rechte Gewalt „null Toleranz“ walten lassen will und für das Ende der akzeptierenden Jugendarbeit mit Rechtsradikalen ist, erwähnt Harald Ringstorff dagegen wie beiläufig. Dass man als Mann der leisen Töne eher als Langweiler denn als Ideenstifter wahrgenommen wird, kümmert ihn wenig. Zu wenig.

Vertrauen missbraucht

Als ein Schützenverein in Greifswald unlängst skandalöserweise NPD-Ordner engagierte, konnte sich Harald Ringstorff die Bemerkung nicht verkneifen, dass der Greifswalder Oberbürgermeister sich nicht aus der Verantwortung stehlen dürfe und übrigens CDU-Mitglied sei. Harald Ringstorff kann nachtragend sein wie ein Elefant. Wer ihm, wie die CDU zu Zeiten der großen Koalition, mehrmals zu nahe getreten ist und sein Vertrauen missbraucht hat, der kommt nie wieder auf einen grünen Zweig. Das gilt auch für die eigene Partei: Harald Ringstorff hat es immer noch nicht verwunden, dass die Bundesgenossen ihm, der 1989 immerhin zu den Gründern der damals noch illegalen Sozialdemokratie in Rostock gehört hatte, bei der ersten Landtagswahl nach der Wende das Amt des Ministerpräsidenten noch nicht zutrauten. Statt dessen wurde ein Westimport SPD-Spitzenkandidat – und scheiterte. Eine solche Schmach hat ihm die PDS bislang nicht zugefügt. Auch deswegen der geradezu auffällig rücksichtsvolle Umgang mit den Sozialisten: Will Harald Ringstorff Ministerpräsident bleiben, dann gibt es zu Rot-Rot keine Alternative.

Die Frage indes, ob sich der Ministerpräsident und sein Stellvertreter von der PDS, Helmut Holter, nach nur zweijähriger Zusammenarbeit im Kabinett bereits duzen, stellt sich nicht: Harald Ringstorff ist geboren und aufgewachsen in Norddeutschland. Privates und Politik haben hier selten etwas miteinander zu tun. Über Holters Frau Carina ist medienbekannt, dass sie ihrem Mann, seit er Regierungvize ist, Vitamintrunks mixt und ihm zu grünem Tee statt Kaffee rät. Über die Pantomimin Dagmar Ringstorff gibt es auch Berichte, keinen allerdings über die Frau des Ministerpräsidenten.

Einmischung von außen ist eine Sache, die Harald Ringstorff nun einmal nicht ausstehen kann. Das gilt auch für seinen Politikstil. „Wir geben anderen Bundesländern ja auch keine Empfehlungen“, sagt er. Oder, diplomatischer: „Wir sind in der Bundesrepublik föderativ verfasst, es gilt nicht das Führerprinzip.“

Nur einmal, da hat er dem Kanzler geraten, sich doch bitte in landespolitische Dinge einzumischen und darüber nachzudenken, ob die Bahnstrecke Rostock–Berlin nicht ausgebaut gehöre. Ob eine Ausfallbürgschaft für das Kraftwerk Lubmin nicht angemessen sei. Und ob – ganz wichtig – die Bundesregierung nicht gut daran täte, künftig auch die PDS zu ihren Rentengesprächen einzuladen. Das war im Juli, als Gerhard Schröder und sein Finanzminister im Bundesrat um die Zustimmung der Länder zur Steuerreform feilschten. Die PDS, soviel war klar, wäre leicht herumzukriegen, wenn sie im Gegenzug bundespolitische Anerkennung erhielte.

Heute blitzt es listig in Harald Ringstorffs Augen, wenn er an sein Gespräch beim Kanzler zurückdenkt: „Es ist doch wohl legitim, dass man in einer solchen Situation gerade als neues Bundesland auf Probleme des Landes aufmerksam macht.“ Für ihn ist die PDS längst eine normale Partei. Wenn er sie mit seiner erfolgreichen Fürbitte bei Gerhard Schröder auch auf Bundesebene hoffähig gemacht hat – umso besser. „Ich finde ohnehin, dass die PDS bei parteiübergreifenden Runden viel häufiger mit einbezogen gehört.“

Im Zweifel, sagt Harald Ringstorff, gingen die Interessen des Landes vor. Egal, mit wem er sie durchsetze, seinetwegen auch mit CDU-regierten Bundesländern. Übrigens auch beim Solidarpakt Ost, der demnächst neu verhandelt werden muss. Sagt’s, grinst, lehnt sich entspannt auf seinem Bussitz zurück. Es ist der rechte Augenblick, die Apfelsine zu genießen.