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Die Humorbeauftragten

Bittere Wahrheiten: In der Distel, bei den Wühlmäusen und auf anderen Berliner Kabarettbühnen macht man wie eh und je Witze über korrupte Politiker, garstige Ehefrauen und Angela Merkels neue Frisur. Die alte Kabarettregel „nach oben treten, nach unten jedoch nie“ aber gilt nicht mehr

von KIRSTEN KÜPPERS

Kabaretts tragen gerne unbequeme Worte im Namen. In Berlin heißen sie zum Beispiel „Kneifzange“, „Stachelschweine“ oder „Wühlmäuse“, denn Kabaretts wollen zwicken, pieksen, wühlen oder auch einfach nur „den Finger auf die Wunde legen“.

Auch die Ostberliner Kabarett-Bühne Distel sieht ihren Sinn als „Stachel am Regierungssitz“. Zu DDR-Zeiten hatte sie 63 Mitarbeiter, heute ist die Distel eine GmbH und hat nur noch 20 Beschäftigte. Im Kassenraum steht ein Kachelofen. An der Wand hängen mittelmäßige Kritiken des aktuellen Programms. Das Publikum besteht aus fränkischen Schulklassen, Touristen mit Dussmann-Tüten und älteren Ostberlinern. Vor der Vorstellung drehen sie sich vor den Zerrspiegeln, die im Foyer des Theaters hängen.

Der Name Distel offenbart eine romantische Berufsphilosophie: die Idee, etwas ändern zu können an den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen. Die Distel-Leute geben auf der Bühne den Anwalt kritischer Bürger, der die Regierung mit Witzen kontrolliert.

Zu DDR-Zeiten bedeutete freilich die Drohung Walter Ulbrichts „In Moskau gibt’s ja auch kein Kabarett“ ein schwieriges Kabarettisten-Leben zwischen Anpassung und Widerstand. Szenen, die das damalige Publikum der Distel nie erlebte, füllen ganze Aktenordner. Heute wird nichts mehr verboten. Nur das Fotografieren im Zuschauerraum: „Wenn es blitzt, denken unsere Schauspieler, sie waren wieder zu schnell.“ Drei schwarz gekleidete Künstler zeigen politisches Kabarett. Dazu steht am Rand ein Flötist, der Pianist hat Hosenträger an. Es geht um korrupte Politiker, die Gesundheitsreform oder die Stasi. Menschen wie Herr Schrempp oder Herr Nestlé aber kommen nicht vor.

Das Ensemble hat ganz offensichtlich eine Schauspieler-Ausbildung. Mimik und Gestik wirken oft unangemessen theatralisch und erinnern an die Fotos aus Samy Molchos Körpersprache-Buch. Mit mahnenden Molltönen singen die Kabarettisten „Die CDU! Die CDU!!!“ und hacken auf Angela Merkels Frisur herum. Das ist nicht lustig, aber das ältere Publikum lacht trotzdem sehr. In der Pause erzählt eine Lehrerin ihren Schülerinnen etwas von „bitterer Wahrheit“ und „Lachen, das einem im Halse stecken bleibt“.

In der Fernsehwelt hat das Kabarett, wie es die Distel macht, verloren. Gewonnen hat Comedy: Witze von Stefan Raab oder der „Bullyparade“ richten sich an ein jüngeres Publikum, sind alberner, weniger politisch und haben jeden Tag Sendezeit.

Dieter Hallervorden ist schon lange albern und unpolitisch, er ist gewissermaßen der Vater der Comedy. An „Palimmpallimm, ich hätte gerne eine Flasche Pommes Frites“ denkt man gerne zurück. Trotzdem bezeichnet Hallervorden sein „Wühlmäuse“-Theater am Theodor-Heuss-Platz nach wie vor als Kabarett. An diesem Abend tritt dort der „ständige Humorbeauftragte des ZDF in Sachen Sport“ auf, wie das Programmheft den Kabarettisten Dieter Nuhr nennt. Die Karten kosten zwischen 36,50 und 46,50 Mark.

Dieter Nuhr sieht moderner aus als die Distel-Kabarettisten. Er ist ein smarter Schnellredner und trägt ein T-Shirt, auf dem seine Internet-Adresse gedruckt ist. Seine Witze drehen sich um Turnschuhe mit „atmungsaktiven Schnürsenkeln“, um Pannen beim Online-Banking oder andere Schikanen, „die einem die Marketingfritzen aufschwatzen wollen“. Das Publikum hat weder Turnschuhe an, noch sieht es nach Online-Banking oder Marketing aus. Vielmehr haben die Frauen für den Abend besondere Blusen angezogen. In der Reihe vor uns sitzen acht mittelalte Männer mit Bart. Sie finden gut, dass auch andere überfordert sind von der modernen und nicht mehr ganz so modernen Welt. Die Leute lachen, klatschen, nicken und vervollständigen Sätze. Oft fällt ein erleichtertes „So isses“. Nuhr macht Witze über garstige Ehefrauen, Viagra, Sandino-Kaffee, Mülltrennung, Beamte, Computerladen-Verkäufer und Ökos, die Krötentunnel bauen. Häufig muss man unfreiwillig lachen, obwohl man Krötentunnelbauer eigentlich nett findet, und das restliche Publikum lacht sich sowieso kaputt. Mein Begleiter sagt: „Der könnte genauso gut Aktien verkaufen“.

Das politische Sendungsbewusstsein des traditionellen Kabaretts sei einem allumfassenden Sarkasmus gewichen, meinte neulich ein Kabarettist in der wöchentlichen Kabarett-Sendung „Querköpfe“ auf Deutschlandfunk. Dieter Nuhrs niedrig gestecktes Berufsziel „nicht so bierernst durchs Leben gehen“ hat sicher auch mit 16 Jahren Helmut Kohl zu tun. Über keinen anderen Politiker gab es so viele Witze, genutzt hat es nichts.

Bei diesem Gefühl der Machtlosigkeit blieb einem Kabarettisten wohl nur die Flucht in Zynismus, Comedy oder ins Bedrucken von T-Shirts mit der eigenen Internetadresse. Die Harald-Schmidt-Show ist der Schlusspunkt dieser Entwicklung, die alte Kabarett-Regel „nach oben treten, nach unten jedoch nie“ gilt heute nicht mehr. Geblieben ist den Kabarett-Machern allerdings die Freude am Wortspiel. Programmtitel wie „Über Samenspenden und andere R’güsse“ oder „Eimer für alle, alles im Eimer“ gibt es massenhaft. Beliebt ist auch, die Zuschauer in „Lach-Haft“ zu nehmen.

Max Goldt hat einmal behauptet, nur Studienräte gingen ins Kabarett. Das stimmt nicht. Die Jazz- und Kleinkunstbühne Schlot in Prenzlauer Berg zum Beispiel ist vollgestopft mit Studenten – jungen Menschen, die aussehen, als veranstalteten sie sonst mit Freunden gerne Spieleabende. Früher warb der Schlot mit dem Spruch: „Rauchig, jazzig, immer offen“. Inzwischen ist er in einen sanierten Fabrikkeller nach Mitte umgezogen und hat öfters auch mal zu. Dienstags, mittwochs und donnerstags ist Kabarett. Schmalzstullen kosten vier Mark, man wundert sich, dass die Küche keine Soljanka anbietet. Die Wege zur Toilette sind als „wwc.klo.de“ ausgeschildert.

Olaf Schubert tritt auf. Eine Berliner Zeitung nennt ihn den „Gefühlshammer aus Dresden“. In Wirklichkeit ist Schubert ein junger Langhaariger in kariertem Humana-Pullover. Er hat eine lustige Fistelstimme und eine Gitarre, und er begrüßt die Leute mit „Willkommen in der Knäckebrotfabrik“. Schuberts Darbietung besteht darin, dass er an den Fingernägeln zuppelt und sich in kniffligen Satzverästelungen verliert: „Bei mir wächst Porree im Sprachzentrum“

Hübsch ist das Lied „Ich mag Frauen in langen Kleidern, die sie sich selber schneidern“ – vielleicht ein Gruß an die Bedienung im Schlot, die auch Selbstgenähtes aus Gardienenstoff trägt. Das Publikum ist begeistert, obwohl es nicht bei den lustigsten Stellen lacht, sondern bei den lautesten. Ein Mann verschluckt sich beim Auf-die-Schenkel-Schlagen sogar so, dass er den restlichen Abend durchhustet. Das Beste an Kabarett-Besuchen ist, zu hören, wie unterschiedlich die Leute lachen.

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