: Wer weiß, was guter Porno ist
Auf traurige Art wiederholt der antipornografische Diskurs das Diktum, dass anständige Frauen keinen Fall Sex um des Sex willen und erst recht keine ausgefallenen Fantasien und Wünsche haben sollen
von CRISTINA NORD
In dem italienisch-französischen Frauengefängnisfilm des Regisseurs Bruno Mattei „Violenza in un carcere femminile“ (1982) gibt es eine Sequenz, deren Anordnung – zumal für ein B-Movie – außergewöhnlich vielschichtig ist. Mit Hilfe von Drogen bringt eine Wärterin zwei Gefangene dazu, miteinander zu schlafen, während sie zuschaut. Die beiden Frauen winden und wälzen sich nackt auf einer Pritsche, gefilmt wird vom Standpunkt der Aufseherin aus. Als der Akt schon recht weit fortgeschritten ist, wechselt die Perspektive abrupt um 180 Grad. Das Stöhnen der beiden Frauen ist noch zu hören, frontal im Bild ist nun die Wärterin, die in ihrer Uniform schwitzt und mit einer Hand den Knauf eines Knüppels befingert. Ihre Erregung ist offenkundig; kurz bevor sie zum Höhepunkt kommt, eilt sie auf die beiden Frauen zu und lässt den Knüppel auf deren Körper niedersausen.
Wollte man polemisieren, man fände in diesen Szenen ein treffendes Bild für die Auseinandersetzungen, die das Thema Pornografie im Lauf der Achtzigerjahre hervorrief. Denn die Teile der Frauenbewegung, die gegen explizite Darstellungen stritten und sich damit die Deutungsmacht über den Feminismus sichern konnten, taten dies oft in einem ähnlichen Zirkelschluss aus Lust, erhitzter Empörung und Zensur, wie ihn die Aufseherin im Frauengefängnisfilm durchlebt. Blättert man heute in dem PorNo-Sammelband, den Emma 1988 herausgab, überrascht die stellenweise sehr zeigefreudige Bebilderung. Das Skandalon etwa, dass Frauen zu Sex mit Tieren gezwungen würden, wird nicht nur beschrieben, es wird auch illustriert. Zwar mit einem breiten schwarzen Balken im Zentrum der entsprechenden Abbildung – doch die Schwärzung führt vor allem dazu, dass die Fantasie einspringt, wo das Bild eine Leerstelle lässt.
Die New Yorker Filmkritikerin B. Ruby Rich spitzt diesen Gedanken zu, wenn sie über den Dokumentarfilm „Not a Love Story“ von Bonnie Klein schreibt: „Der antipornografische Film ist ein akzeptierbarer Ersatz für Pornografie, eine Art Snuff-Film für ein Anti-Snuff-Publikum. In dieser Lesart tritt Empörung über etwas an die Stelle von Lust an etwas, doch das Objekt bleibt dasselbe. Wutschreie und abgewandte Augen ersetzen die stille Lust und die umgestülpten Hüte des vorherigen Publikums; ein vor Schrecken starrer Blick löst den vor Sättigung glasigen Blick ab.“
Der antipornografische Diskurs gestattet demnach die Lust an sexuell explizitem Material – unter der Prämisse, dass die Lust in Empörung umschlägt oder sich von Anfang an als Empörung geriert. Ein subtiler Voyeurismus ist das, der jedoch eine glückliche Auflösung nicht kennt. Aus dem vielgestaltigen Dilemma, das mit Sexualität und deren Darstellung verbunden ist, weist der antipornografische Diskurs keinen Ausweg. So wie er in den 80ern dies- und jenseits des Atlantiks geführt wurde (und teils noch heute geführt wird), ist er weit davon entfernt, Lösungen zu bieten. Er ist vielmehr Teil des Problems, Symptom dafür, dass etwas im Argen liegt.
Dazu passt, dass Porno-Gegnerinnen auf die Frage, was gute Sexualität sei und wie die Bilder davon aussähen, keine befriedigende Antwort wissen. Die britische, in Melbourne lehrende Politikwissenschaftlerin Sheila Jeffreys zum Beispiel beschließt ein kürzlich erschienenes Essay über „Die Erotik der (Un)Gleichheit“ folgendermaßen: „Wir müssen wieder darüber nachdenken und darüber diskutieren, wie eine solche gleichberechtigte Sexualität aussehen könnte. Solange wir sie uns nicht einmal vorstellen können, wie sollen wir sie da jemals erlangen?“
Eine genauere Bestimmung gelingt Jeffreys nicht. Ihr Ziel lässt sich nur ex negativo beschreiben: keine „Bordellpraktiken“, keine Masturbationsvorlagen, keine Zurichtung der Frau für die Wünsche des Mannes. In einen theoretischen Rahmen eingefügt, bedeutet dies: keine queer theory, kein postmoderner Feminismus, keine „Ideen einiger unverhüllt frauenfeindlicher französischer Philosophen, vor allem Michel Foucault.“
Spätestens an diesem Punkt tritt deutlich zutage, wie das vorgeblich emanzipatorische Ansinnen in eine anti-emanzipatorische Haltung umschlägt. Denn Sex ist statthaft nur unter bestimmten Voraussetzungen: wenn er innerhalb einer gleichberechtigten Partnerschaft stattfindet, wenn er wie auch immer geartete Macht-Asymmetrien ausschließt und sich auf Praktiken beschränkt, die nicht auch in einem Bordell vorkämen. Dies beschreibt eine moralische Ebene, die sich von anderen moralischen Geboten – kein Sex vor der Ehe, kein Sex, der nicht auf Reproduktion zielte – nur graduell unterscheidet. Auf traurige Art wiederholt der antipornografische Diskurs das Diktum, dass anständige Frauen keinen Sex um des Sex willen und erst recht keine ausgefallenen Fantasien und Wünsche haben.
Trotzdem greift der Vorwurf zu kurz, diejenigen, die so vehement gegen pornografische Bilder streiten, seien prüde (wie billig dieser Vorwurf ist, bewies zuletzt Marcel Reich-Ranicki mit seinem Angriff gegen Sigrid Löffler). Er suggeriert, dass, gäbe es nicht ein paar Hysterikerinnen, eigentlich alles in Ordnung sei. Das ist Wunschdenken. Natürlich existiert die Tradition degradierender Bilder, natürlich existiert die Zurichtung der Frau zum verfügbaren Objekt, und natürlich ist Widerspruch gegen diese Tradition nötig – und sei es nur aus dem Grund, dass die Ausstellung des weiblichen Körpers auf Dauer langweilig und ästhetisch unbefriedigend ist. „Ich verkaufe den Traum“, sagt die Pornoproduzentin Teresa Orlowski im Interview mit dem Magazin Neid, und dieser Traum kennt keine Variation: „Männer wollen eine heiße Frau auf dem Monitor sehen, die immer Lust hat, die gut aussieht.“ Die Frage, welches Szenario sich dem entgegenhalten lässt, ist nicht leicht zu beantworten. Vielleicht kommt man dabei zwangsläufig zu dem Ergebnis, dass nicht-objektivierende Bilder überhaupt nicht existieren und sexuelle Fantasien häufig stereotyp ausfallen. Fragen indes sollte man schon.
Jeder Versuch, eine andere Pornografie zu entwerfen oder bestehende Bilder umzumünzen, muss also drei Dinge berücksichtigen: dass ihm von einem bestimmten, über lange Zeit hinweg tonangebenden Flügel der Frauenbewegung jede Daseinsberechtigung abgesprochen wird; dass es im gewöhnlichen Porno Traditionen der Demütigung gibt; dass schließlich das Resultat des Gegenszenarios wahrscheinlich nicht die utopisch konnotierte Wiederaneignung der enteigneten Lust ist, sondern nur eine neue, klischeehafte, banale Fantasie.
Lesbische Regisseurinnen, die Alternativen zu den im Heteroporno üblichen Bildern lesbischer Sexualität entwickeln, beanspruchen oft für sich, die richtigen, die authentischen Bilder zu liefern. In der Praxis heißt das, dass an die Stelle der langen, lackierten Fingernägel, der blonden Dauerwellen und der Spitzenwäsche Kurzhaarschnitte, Lederequipment und ein Haufen Sex-Toys rücken. Eine alternative Sex-Industrie löst die dominante ab. Das ist weder richtig noch falsch; nur authentisch ist es nicht – und kann es gar nicht sein. Bisweilen antwortet eine Rachefantasie auf die Dominanzfantasien herkömmlicher Pornografie. Für den Episodenfilm „Let’s Talk About Sex“ (1994) drehte Monika Treut einen Beitrag, in dem eine lesbische und eine bisexuelle Frau einen Mann verführen. Während er mit der Bisexuellen schläft, greift die Lesbe nach einem Dildo. Sein Entsetzen könnte größer nicht sein, als sie ihn penetriert.
Nicht jede sich als feministisch begreifende Perspektive auf Pornografie gebärdet sich so rabiat wie Treuts Szenario. Die Filmwissenschaftlerin Gertrud Koch etwa ging Anfang der Achtzigerjahre mit Freundinnen ins Pornokino und fragte sich anschließend in der Zeitschrift Frauen und Film: „Spüren wir wirklich nur die Unlust der Frauen auf der Leinwand, oder lassen wir uns doch in die Fiktion eines Reichs der Lust entführen, vergessen die Unlust und glauben ihrer Schauspielkunst? Ist unsere Lust als Zuschauerinnen stark genug, um die Unlust der Darstellerinnen vergessen zu machen, eignen wir uns diese Bilder als mögliche eigene Lust an?“
Eine ähnliche Frage stellt sich auch angesichts von Exploitation- bzw. Sexploitation-Produkten wie „Violenza in un carcere femminile“: Bieten diese Bilder, die doch ursprünglich für die Schaulust eines jungen, männlichen Publikums gedreht wurden, sich noch ganz anderen Interessen an? Liegt die Männerfantasie gar nicht so weit entfernt von der Frauenfantasie? Anlässlich der vierten Feminale 1988 veranstaltete Gertrud Koch gemeinsam mit Birgit Hein und Ulrike Zimmermann einen Workshop zum Thema, acht Jahre später brachte B. Ruby Rich Russ Meyers Exploitation-Opus „Faster, Pussycat! Kill! Kill!“ zum Kölner Frauenfilmfest mit. Offensichtlich haben die schlechten Fantasien der B-Movies Reize, mit denen der Mainstream gewordene Lesbenfilm auch heute nur selten aufwarten kann. Und möglicherweise gibt es zur Aneignung der falschen Bilder, gibt es zum Voyeurismus der Aufseherin aus „Violenza in un carcere femminile“ keine wirkliche Alternative.
Mit Cristina Nords Essay setzen wir eine lose Folge von Texten fort, die sich mit der Darstellung von Pornografie in verschiedenen Medien befassen, ihrer Vermarktung und veränderten Bedeutung in den Diskursen von Mainstream und Underground. Zuletzt schrieben Elisabeth Bronfen über die Verkehrung von Opfer-Täter-Klischees in Stanley Kubricks „Wide Eyes Shut“ (24. 8.) und Georg Seeßlen über den post-pornografischen Blick (27. 7.).
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