: Volksentscheid ja, aber worüber?
SPD und Grüne wollen noch in dieser Legislaturperiode Volksentscheide einführen. SPD-Innenpolitiker Wiefelspütz hält auch Abstimmung über ein Zuwanderungsgesetz für möglich, mit dem das Asylrecht geändert würde. CDU reagiert eher ablehnend
von LUKAS WALLRAFF
Eines hat Günter Verheugen auf jeden Fall erreicht: Erstmals seit langem wird wieder heftig über die Einführung von mehr direkter Demokratie diskutiert. Eine Volksabstimmung über die EU-Osterweiterung lehnen zwar fast alle Politiker ab, doch SPD und Grüne kündigen jetzt erstmals ernsthaft die schnelle Einführung von Volksentscheiden an.
SPD-Generalsekretär Franz Müntefering versprach gestern einen Vorstoß seiner Partei noch für den Herbst. Auch die Grünen wollen die Bürgerrechte stärken. Damit tun die Regierungsparteien im Grunde nur das, was sie im Koalitionsvertrag vereinbart hatten. Darin heißt es, man wolle „auch auf Bundesebene Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid durch Änderung des Grundgesetzes einführen“.
Müntefering nannte das Ziel, eine notwendige Verfassungsänderung noch in dieser Legislaturperiode zu erreichen. Dafür bedarf es einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag und die Zustimmung des Bundesrats. Deshalb will die Koalition auch mit der Union Gespräche führen.
Bei all der plötzlichen Betriebsamkeit besteht allerdings auch innerhalb von Rot-Grün noch keine Einigung darüber, worüber dann abgestimmt werden könnte. So kann sich der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, Volksabstimmungen „auch über emotionsgeladene Themen“ vorstellen. Gegenüber der taz erklärte Wiefelspütz: „Natürlich kann ich mir auch einen Volksentscheid über ein Zuwanderungsgesetz vorstellen, auch wenn darin eine Änderung des Asylrechts vorgesehen wäre.“ Sein grüner Kollege Cem Özdemir will dagegen Themen ausschließen, die Menschenrechte und Änderungen von Grundrechten betreffen (siehe Seite 3). Einig scheinen sich SPD und Grüne, dass es keine Volksabstimmungen geben soll, die das Steuerrecht, Personalfragen oder Außenpolitik berühren.
Aus der CDU kamen bisher weitgehend ablehnende Stimmen zu den Plänen der Regierung. So warnte der CDU-Politiker Friedbert Pflüger gestern vor Einführung von Volksentscheiden. Die ganze Diskussion führe auf einen Holzweg. Volksentscheide gaukelten nur vor, mehr Demokratie zu schaffen. Überall, wo es dieses Instrument gebe, habe sich gezeigt, dass die Beteiligung sehr gering sei. Die komplexen Probleme von heute ließen sich nicht einfach in Ja-Nein- Fragen hineinpressen. Die PDS begrüßte dagegen die Pläne.
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