lidokino: Fast schon selbstverständlich: Filme über die „condition feminine“ im Iran bei der Venedig-Biennale
Rauchen/Nichtrauchen im Frauengefängnis
Vielleicht war es ein symbolisches Bild: Zur Eröffnungsgala der 57. Filmfestspiele von Venedig erschienen die Jury-Mitglieder Jennifer Jason Leigh und Samira Makhmalbaf schwungvoll Arm in Arm. Die amerikanische Schauspielerin im farbenfrohen Hosenanzug, die iranische Regisseurin ganz in Schwarz mit Kopftuch. Noch vor ein paar Jahren wäre die Szene auf einem internationalen Filmfestival undenkbar gewesen. Inzwischen ist es nichts Besonderes mehr, dass eine junge Iranerin Filme dreht und in der Öffentlichkeit selbstbewusst verteidigt. „Mir ist schon klar“, so die 19-jährige Chatami-Anhängerin Makhmalbaf, „dass ich auf Grund meines Alters und der Medienresonanz eine Art Vorreiterrolle übernommen habe.“
In Venedig war in der Sektion „Woche der Kritik“ auch ein Film von Makhmalbafs Tante und enger Mitarbeiterin Marziyeh Meshkini zu sehen, die wiederum die Filmschule von Makhmalbafs Vater Mohsen besucht hat. „Roozi keh zan shodam“ ist filmisch nicht weiter erwähnenswert, politisch allerdings eine kleine Sensation. Der Episodenfilm beobachtet drei Frauen in Situationen, die gemeinsam so etwas wie eine iranische condition feminine ergeben. Ein kleines Mädchen darf nicht mehr mit seinem Kameraden spielen, weil es mit dem neunten Geburtstag „zur Frau“ geworden ist. Eine junge Frau nimmt an einem (rein weiblichen) Fahrradrennen teil und wird dafür von ihrem Mann verstoßen. In der dritten Episode gönnt sich ein uraltes Mütterchen endlich all die Konsumgüter, die es während seiner Ehe nicht besitzen durfte. „Roozi keh zan shodam“ ist ein Thesenfilm mit schlichter Politsymbolik – aber das Interessanteste daran ist natürlich die Tatsache, dass es ihn gibt.
Ähnliches gilt auch für den iranischen Wettbewerbsbeitrag dieses Festivals, doch der ehemalige Abbas-Kiarostami-Mitarbeiter Jafar Panahi geht in seiner Systemkritik um einiges weiter. Sein Film „Dayereh“ („Der Kreis“) ist ein Reigen, der an einem einzigen Tag in Teheran spielt und geheimnisvoll beginnt. Wer sind diese Frauen, die sich panisch vor den Polizeikontrollen verstecken und verzweifelt versuchen, ein bisschen Geld aufzutreiben? Woher kommt das blaue Auge der einen, wohin verschwindet die andere? Und was bedeutet die merkwürdige Komplizenschaft? Nur langsam entziffert man die Zeichen und Andeutungen, kommt dahinter, dass es sich um Frauen handelt, die am gleichen Tag gemeinsam aus dem Gefängnis geflohen sind. Inmitten des bunten Teheraner Straßengewimmels strahlen sie mit ihren angespannten Gesichtern und den immer wieder unwillig zurechtgezupften Schleiern eine ungebrochene Resistenzbereitschaft aus, den existenzialistischen Trotz von Menschen, die wissen, dass sie letztlich nichts mehr zu verlieren haben.
Das große Frauengefängnis Gesellschaft setzt Regisseur Panahi aus kleinen Gesten und Informationen zusammen. Ein Busfahrkartenverkäufer weist darauf hin, dass unbegleitete Frauen nur mit Studentenausweis das Recht zu reisen haben. Eine der Umherirrenden wird zunehmend nervös, weil sie als Frau in der Öffentlichkeit nicht rauchen darf. In der vielleicht traurigsten Szene sucht eine Entlassene die ehemalige Kameradin und Krankenschwester auf, um eine Abtreibung zu bekommen. Vergeblich.
Panahis Film endet so düster, wie er begonnen hat, doch es gibt ein schöne Szene, die einen winzigen utopischen Rest verströmt. Eine Prostituierte wird in einem Polizeiauto zum Gefängnis abtransportiert. Als sie versucht, sich eine Zigarette anzuzünden, wird es ihr barsch untersagt. Kurz darauf rauchen die Beamten jedoch selbst. Die Prostituierte zündet sich nochmals die Zigarette an. Ganz entspannt, geradezu cool sitzt sie da, ist für einige Fahrtminuten ganz bei sich und zieht zwischen knallrot geschminkten Lippen genussvoll den Rauch ein. KATJA NICODEMUS
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