: Vier Köpfe für ein GALelujah
Heute wird auf der GAL-Mitgliederversammlung die neue Parteispitze gewählt. Niemand wagt zu tippen, wer es wird. Sicher ist nur: Zwei bleiben auf der Strecke ■ Von Peter Ahrens
Sie ist die bekannteste im KandidatInnen-Quartett, kein Zweifel. Antje Radcke hat die Bundespartei geführt, sie war schon mal Hamburger Parteichefin, davor hat sie die Bezirksfraktion in Nord geführt, eine Vorstellungsrunde kann sie sich heute bei der Mitgliederversammlung (MV) in der Patriotischen Gesellschaft eigentlich sparen. Eine Garantie, heute von den grünen Mitgliedern gewählt zu werden, ist das nicht. Ganz und gar nicht.
Radcke hat zwei Jahre Spagat hinter sich. Kosovo, die grüne Regierungsbeteiligung im Bund, zuletzt das grüne Hin und Her um den vermeintlichen Atomausstieg – das Sprungbrett für ihren bundespolitischen Abgang. Dass Radcke ihre erneute Kandidatur für den Sprecherinnenposten der Bundespartei mit einer Ablehnung des Atomkompromisses verknüpft hatte, haben ihr besonders viele Realos übel genommen.
Dass sie danach verkündete, erst mal von der Politik Abschied zu nehmen und nur Wochen später ihre Kandidatur für den Hamburger Landesvorstand bekannt gab, hat ihr auch nicht übermäßig Sympathien eingebracht. „Unglaubwürdig“ lautete der Vorwurf, den sie sich anhören musste. Dass zudem Radcke und die stellvertretende Bürgermeis-terin Krista Sager, die wohl wieder als Spitzenkandidatin in den nächs-ten Bürgerschaftswahlkampf einziehen wird, nicht miteinander können, ist schon oft genug geschrieben worden.
Die 40-jährige Literaturpädagogin hat ihr politisches Comeback damit begründet, die Bürgerschaftswahl sei für die GAL „eine besondere Herausforderung“, die sowohl reizvoll sei, als auch erfahrene PolitikerInnen erfordere. Sie stützt sich bei ihrer heutigen Bewerbung auf die Leute, die man in der GAL als den linken Flügel bezeichnet hätte, als es ihn noch gab. Von dem Flügel sind zwar nur noch ein paar Federn übrig. Radcke kann jedoch auch mit den Stimmen taktierender Realos rechnen. Die spekulieren darauf, dass ihre Wahl die schon lange unzufriedenen Rest-Linken in der GAL wieder mit der Partei versöhnen und sie bei der Stange halten würde. Eine Konstellation Radcke-Edler erscheint bei der herzlichen Abneigung zwischen den beiden KandidatInnen kaum möglich, aber eine Doppelspitze Radcke-Müller würden auch mehrere Realos in Kauf nehmen.
Der Gegenwind kommt vor allem von der grünen Jugend, deren Sprecher Christian Sili Radcke gleich nach ihrer Kandidatur als „Politrentnerin“ attackierte und von Krista Sager, die sich die weiche Lösung Opitz und Edler als Doppelspitze vorstellt. Ein Durchfallen Antje Radckes in beiden Wahl-Durchgängen wäre jedenfalls ein Zeichen: Dafür dass die Linken bei der GAL keine Zukunft mehr haben. Die Realität wäre damit offiziell abgesegnet.
Flügelunabhängig sei sie, verkündet Heike Opitz im Vorfeld des Parteitages. Links oder Realo, das interessiere niemanden in der Partei mehr. Das mit dem fehlenden Interesse mag stimmen, das mit dem flügelunabhängig nicht. Heike Opitz vertritt die Ansichten einer Realpolitikerin. Sie ist vor allem aber jung, und das ist ihre Chance am heutigen Tag. Das Geburtsjahr 1975 als Wahlargument.
Die jüngste ihrer MitbewerberInnen ist 15 Jahre älter als Opitz. Die Jurastudentin wuchert mit dem Pfund der Jugend, auch wenn sie selbst das weit von sich weist. „Innerhalb der GAL ist das Alter als Kriterium völlig wurscht“, sagt sie und baut trotzdem auf die Unterstützung der grünen Jugend. Die ist ihr gewiss, und aus deren Kreisen kam auch der deutlichste Ärger über die Gegenkandidatin Antje Radcke.
Opitz selbst verweist einerseits auf ihre Erfahrung in zahlreichen Gremien: Sie war Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft Jugendpolitik in Nordrhein-Westfalen, war im Bundesvorstand des Grün-Alternativen Jugendbündnisses und ist in der grünen Hochschulgruppe aktiv. Andererseits tritt sie ganz deutlich mit der Aussage an: „Ich kandidiere, um einen Generationswechsel in der GAL einzuleiten.“ Ihre Kritik gilt zuallererst dem „Kartell der Alten“ in der Partei – wie es Edler, Radcke und Müller aus Sicht der Jung-Grünen verkörpern.
Pragmatisch nennt sie sich, um das Wort Reala zu vermeiden. Neue Mitglieder will sie auf diese Weise heranziehen, die Bezirke stärker an der parteipolitischen Debatte beteiligen. Die GAL soll die Partei der QuereinsteigerInnen werden: „Man muss sich nicht von unten hochdienen“, wünscht sie sich für die Zukunft.
Geht es um die politischen Inhalte, wird Opitz vorsichtiger, vager auch – was auch dem Umstand geschuldet ist, dass sie erst seit zwei Jahren in Hamburg ist, zuvor in Aachen und Bonn gelebt hat. In ihrer schriftlichen Vorstellung zur heutigen Mitgliederversammlung (MV) werden sämtliche Politikfelder kurz angerissen. Das klingt dann so: „Es muss uns gelingen, die Kompetenzen der GAL in den Feldern Arbeitsmarkt, Sozial- und Wirtschaftspolitik bekannt zu machen und zu stärken. Natürlich möchte ich nicht die ökologischen Themen schwächen. Weiterhin möchte ich für eine offensive Auseinandersetzung mit dem Thema Innere Sicherheit und Bürgerrechte sprechen. Daneben gibt es eine Fülle von weiteren wichtigen Themen wie soziale Stadtteilentwicklung, Verkehrspolitik und Frauenpolitik, die mir auch sehr wichtig sind.“ Für jedeN etwas dabei: Den Beweis, die Schlagworte auch inhaltlich zu füllen, will und muss sie antreten, wenn sie heute gewählt wird.
Wobei sie nicht nur auf die Lobby der Hochschulgrünen rechnen kann. Bei vielen GALiern gibt es eine eher diffuse Sehnsucht nach dem Generationswechsel in der Partei. In der Tat wird den Grünen von ParteiforscherInnen und JournalistInnen gern vorgehalten, die Jugend verloren zu haben. Da würde eine 25-Jährige an der Parteispitze ein Signal setzen. Großen Widerspruch haben GAL-SenatorInnen und Bürgerschaftsfraktion von Heike Opitz nicht zu erwarten. Sie sagt ganz klar: „Ich halte die grüne Politik in Hamburg für gut.“
Zudem hat Opitz ebenso wie ihre Mitbewerberin Antje Radcke im Unterschied zu den beiden kandidierenden Männern zwei Chancen. Im ersten Wahlgang treten die zwei Frauen gegeneinander an. Wer verliert, kann anschließend probieren, gegen Müller und Edler eine Mehrheit zu erreichen.
Jo Müller ist einer, der gerne draufhaut. Und damit genauso gerne kokettiert. „Ich gelte bekanntlich nicht nur als nett“, sagt er. Die Abspaltung des Regenbogens war für ihn schlicht „politisch Quatsch, wenn auch menschlich verständlich“, zu seiner Kandidatur meint er: „Wenn die Leute jemanden wollen, der sich mit SPD und CDU richtig fetzt, dann sollen sie mich wählen.“ Dass er den alten Landesvorstand nur begrenzt schätzt, daraus macht er keinen Hehl.
Müller hat in seiner langen grünen Politkarriere mit seiner Art viele vor den Kopf gestoßen, viele, die ihn daher als eitel, selbstgefällig und undiplomatisch bezeichnen. Ein Jo Müller würde das wahrscheinlich noch nicht einmal ganz ungern hören. Er ist der Rambo unter den vier BewerberInnen um die zwei Vorstandsposten. Ein Image, das der 53-Jährige kultiviert. „Ich würde mir mehr öffentliche Auseinandersetzung über die Senatspolitik wünschen“, sagt er. Die Provokation, die Polemik, der Spaß am Krawall gehören für ihn zum politischen Alltag dazu. Das war schon so, als er der ersten grünen Bundestagsfraktion in den 80er Jahren angehörte, oder als er vor Jahren schon mal Mitglied des Hamburger Landesvorstandes war. Müller sagt: „Gegen die Nazis muss man mit Emphase vorgehen, man muss mit der Faust auf den Tisch hauen.“ Dazu gehöre auch, Nazimärsche zu behindern. Schmusekurs mit der SPD im Wahlkampf? Nicht mit ihm. „Die SPD ist Konkurrenz.“
Jo Müller hat seit über zehn Jahren das Etikett des Realissimo. Nicht zu Unrecht. Die WählerInnenschaft des Regenbogens ist für ihn linksradikal, er hat nie an der Ansicht gezweifelt, dass Grüne in Regierungen gehören. Jetzt sind sie in der Regierung, und Müller ist wieder nicht glücklich. „Ich bin Teil der Unzufriedenheit“, sagt er. Worüber? Über die „fehlende Konfliktbereitschaft“.
„Team, Team, Team“ würde er pflegen, falls er in den Landesvorstand gewählt würde, behauptet er und weiß, dass viele ihm das nicht recht abnehmen. Eine Vorstandskombination Radcke-Müller, die wäre ihm am liebsten. Mit Antje Radcke habe er stets gut zusammen gearbeitet. Eine Kombination, die vor allem die GAL-Prominenten im Senat mit Schrecken sähe. Da läge Zoff in der Luft.
„Ich muss nicht Landesvorstandssprecher der Hamburger GAL werden“, sagt der studierte Ökonom. Zweimal ist er mit einer Kandidatur für den Posten schon gescheitert. Sollte es wieder nicht klappen, dann schreibe er eben weiter an seinem Buch über eine wirksame Politik gegen Arbeitslosigkeit. Aber man merkt, dass er nicht ganz meint, was er sagt. Zu seinen Wahlchancen kommentiert Müller: „Ich habe mit Freude gehört, dass nach Kompetenz gewählt werden soll.“ Der Mann würde verdammt gerne Parteichef der GAL werden.
Wenn Kurt Edler über Politik redet, dann spricht er von „unpolitischer Romantik“, von der „Enttraditionalisierung der Jugend“, vom „Theoriedefizit der politischen Klasse“, von „den Grünen als Interessensrelativierern“. Hier macht jemand Politik, der sie intellektuell durchdringt, der beim Thema Parteienlandschaft Anthony Giddens zitiert, den Vordenker von New Labour. Das Foto auf seiner Homepage zeigt Edler in der Pose des Nachdenkers, den Kopf in die Hand gestützt.
Einer, der über der Tagespolitik zu stehen scheint. Die fällt dann aber plötzlich ein, als er auf die politische Konkurrenz zu sprechen kommt. Den Regenbogen zum Beispiel. Einer wie Edler sagt dann allerdings nicht profan, den Regenbogen könne man vergessen, er formuliert: „Der Regenbogen wird im parlamentarischen Orkus verschwinden.“
Hardcore-Realo wird er oft in der Presse genannt, der 50-jährige Lehrer für Politik, Deutsch und Gemeinschaftskunde. Für den Teil des „grünen Umfeldes“, das den „Gestus der Fundamentalopposition pflegt“ und daher mit der GAL-Tagespolitik unzufrieden ist, hat Edler nur Verachtung übrig. „Den Zeit-Redakteur, der 10.000 Mark im Monat verdient, sich aber eine kleine grüne Protestpartei im Parlament wünscht, den können und wollen wir nicht bedienen“, sagt er. Er könne sich mit den heutigen Grünen in Hamburg besser identifizieren als je zuvor, meint er, jetzt nachdem die Leute vom Regenbogen nicht mehr da sind und die „latente Spaltung“ der GAL damit beendet worden sei: „Die Basis ist da, dass Politik bei der GAL richtig Spaß machen kann.“
Edler ist keiner, dem man zubilligt, eine Parteiversammlung mitzureißen, den Anspruch hat er auch nicht. Er tritt zurückhaltend auf, mit leiser Stimme, die personifizierte Antithese zum Mitbewerber Jo Müller. Edlers Trumpf ist das, was er „Organisationsentwicklung“ nennt: Wahlkampfverteiler aufbauen, Öffentlichkeitsarbeit machen, „Unterstützung aus dem Hintergrund“, wie er sie in den vergangenen Jahren für die GAL geleistet habe. „Ich will mich nicht als Apparatschik missverstanden wissen“, sagt er. Aber Edler ist einer, der die GAL und ihre Strukturen seit Ewigkeiten kennt. Er hat die Hamburger Grünen vor 20 Jahren mit gegründet, er war in der Bürgerschaft, im Landesvorstand. Einer von denen, der den jungen Grünen suspekt sein müsste. Aber Edler hat verantwortlich mitgestrickt an dem Papier „GAL von morgen“, das von Atta-cken auf die Senioren-Grünen strotzt und maßgeblich von den jungen Unwilden in der Partei getragen wird. „Ich fühle mich nicht verbraucht“, sagt der Mann.
Edler lehnt für das kommende Jahr jeden Wahlkampf ab, der darauf zielt, sich von SPD abzusetzen. „Linkspopulismus hat keine Chance, da machen wir uns total unglaubwürdig“, ist er überzeugt, auch wenn er die Sozialdemokratie in der Hansestadt für eine „graue, altmodische Staatspartei“ hält.
Seine Chancen, heute gewählt zu werden, sind nicht schlecht, auch wenn er selbst nur orakelt: „Die GAL-MV ist für jede Überraschung gut.“ Edlers realstpolitischen Ansichten werden von einem Großteil der Parteiprominenz in Senat und Fraktion geteilt. Er wäre im Gegensatz zu Müller der Garant dafür, dass die GAL ihren annähernd konfliktfreien Kurs weiterfahren könnte, was Edler als „geräuschlose und reibungsarme Politik“ bezeichnet. Gefährlicher als Müller könnte ihm die im ersten Wahldurchgang unterlegene Frau werden. Edler sagt: „Ich sehe das ganz gelassen.“ Die Gelegenheit, an die Spitze der Landespartei zu kommen, war bei der GAL noch nie so günstig wie jetzt.
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