: Das Prinzip Kaffeepause
Die Konferenztechnik „Open Space Technology“ boomt im Management und auf dem Bildungsmarkt: Es gibt keinen Referenten, keine Fachvorträge, keine Vorgaben zu Themen und Inhalten. Jeder wird als Experte ernst genommen
von HOLGER KLEMM
Das Heidelberger Institut Beruf und Arbeit (hiba) wollte bei seiner diesjährigen bundesweiten Teamerkonferenz einmal etwas Neues ausprobieren. Und wer sich auf dem Bildungsmarkt umschaut, stolpert schnell über den Begriff Open Space. Das klingt nach Science-Fiction. Aber damit hat es nichts zu tun. Es ist eine Konferenzmethode, die in Deutschland gerade „in“ ist. In Amerika ist sie das schon seit rund zehn Jahren. Der Amerikaner Harris Owen hatte eine folgenschwere Entdeckung gemacht: Das wichtigste und intensivste bei Seminaren und Konferenzen sind nicht die Vorträge, sondern die Kaffeepausen. Owen erklärte die Pause zur Methode, nannte das ganze Open Space Technology und kann seitdem beobachten, wie schnell die „strukturierte Kaffeepause“ die Runde macht. Die Methode wirkt simpel. Und manchmal befremdlich, aber dazu später.
Für hiba war es ein richtiges Wagnis. Denn bei Open Space steht nichts fest: Es gibt keinen Referenten, keine Expertenvorträge, keine Vorgaben zu Themen und Inhalten. Nicht die Veranstalter entscheiden, was wichtig ist, sondern die Teilnehmer selbst setzen Themen auf die Tagesordnung, legen Zeit und Treffpunkt fest.
Manchmal dauert es lange, bis die Teilnehmer aktiv mitspielen. Denn wer ein Thema vorschlägt, ist auch für den Workshop in besonderem Maße verantwortlich. Der Treffpunkt ist festzulegen, die Mitschrift zu organisieren, das Ergebnis beim nächsten Plenum vorzustellen. Zusammengehalten wird die Vielfalt und Spontanität der kleinen Gruppen durch feste Treffen in der großen Runde.
Die Hierarchien sind bei dieser Konferenzform besonders flach. Jeder wird als Experte ernst genommen. Jeder bekommt das gute Gefühl, Gleicher unter Gleichen zu sein, mitunter vom Pförtner bis zum Vorstand. Ist das nicht Augenwischerei? Wem ist geholfen von ein paar Tagen egalitären Beschnupperns? Die freigesetzte Kreativität rechtfertigt wohl dieses Spiel. Denn ein Spiel ist es – nach der Open-Space-Konferenz sitzt der Pförtner wieder am Einlass und der Vorstand am Marmortisch. Die Stimmung ändert sich bestimmt, aber die Strukturen bleiben.
Im November tagen 250 Erzieher und Sozialpädagogen bei einer Zukunftswerkstatt in Hohnstein. Der sächsische Landesjugendverband agjf will auch die neue Technik anwenden, ihm ist aber nicht ganz wohl bei der Vorstellung, dass die Jugendarbeiter die Zeit ausschließlich mit Kaffeetrinken verbringen. Zu Recht? Es gibt Gründe für die Skepsis. „Pädagogen haben einfach kein Zeitgefühl“, stellen Seminarleiter immer wieder fest. Und die agjf will Ergebnisse. Was tun, damit die Offenheit nicht als Freibrief zum Nichtstun verstanden wird? Sven Gröning, Bildungsreferent der agjf, will vorbauen. Themen, Räume und Verantwortliche stehen schon vorab fest. Sicher ist sicher. Aber ist offen dann noch offen? „Nein, hier ist nicht alles open“, beschreibt Gröning die anvisierte Variante.
Dass Open Space eine motivierende Technik ist, gilt inzwischen auch in Deutschland als unumstritten. An der Frage, wie lange die Motivation anhält, scheiden sich die Geister. Gute Erfahrungen mit Open Space hat die Firma Sirona Dental System gemacht. Von Siemens an eine Investorengruppe verkauft, stand für die 1.000 Mitarbeiter von heute auf morgen die Existenz auf dem Spiel. Personalentwicklerin Barbara Sourisseaux ließ alle – vom Pförtner bis zum Vorstand – drei Tage lang nach Open Space debattieren. „Es ist fantastisch, wie Menschen ihr Wissen austauschen, wenn man sie lässt.“ Und das Ergebnis war für die Firma fruchtbar; nicht nur für sie. Barbara Sourisseaux erhielt für das Projekt sogar den Award „Personal Manager 2000“. Wer an den nächsten Wochenenden zum Open Space der internationalen Frauenuni nach Hannover fährt, wird allerdings einen Etikettenschwindel vorfinden. Was dort Open Space genannt wird, ist wieder etwas anderes. Dort versteht man darunter einfach den „offenen Raum“ für wissenschaftliche Debatten. Und vielleicht muss man sich Open Space, auch OST genannt, gar nicht merken. Nach anfänglich großer Euphorie greifen die meisten Veranstalter im Folgejahr wieder auf Herkömmliches zurück. Nicht zuletzt auf Wunsch der Teilnehmer. So ganz traut man der eigenen Courage denn doch nicht. Und bequemer ist es allemal, sich etwas anzuhören, als selbst aktiv zu sein. Daher heißt es oft: „Im nächsten Jahr wieder normal.“
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