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Endorphine und Augenringe

Zwischen Emotionalität und Konformität: Werbeagenturen stehen in dem Ruf, ihre Mitarbeiter reihenweise zu verschleißen. Ältere Kreative werden dagegen häufig ausgemustert, ihnen bleibt meist nur noch der Weg in die berufliche Selbständigkeit

von OLE SCHULZ

Es ist nicht das erste Mal, dass er es nicht bis nach Hause schafft. Der 23-jährige Klaus, der seit drei Monaten als Internet-Scout bei einem kleinen Berliner Start-up arbeitet, schläft diese Nacht lieber auf dem Feldbett im Büro, weil er am nächsten Morgen um 8.00 Uhr einen wichtigen Termin hat. Währenddessen hat Vera kaum ein Auge zugemacht. Die 28-Jährige muss eine knifflige Kampagne für eine große deutsche Bank, die ihr Image verjüngen möchte, endlich zu Ende bringen – zwei Schnappschüsse aus der schönen neuen Arbeitswelt der New Economy.

Total flexibel, aber dafür ein irgendwie freieres Leben als beim geregelten 8-Stunden-Tag? Oder doch eher jung, dynamisch, ausgebrannt? Gerade Werbeagenturen haben den Ruf, viele Mitarbeiter zu verschleißen. In der Regel würden sie nach dem „Prinzip der Zitrone“ behandelt, hat der Psychologe Wolfgang Merz bei seinen Stressbewältigungs-Seminaren festgestellt: „Man quetscht sie so lange aus, bis sie leer ist. Danach nimmt man sich einfach eine frische.“

Termindruck, Arbeitsüberlastung und totale Erschöpfung sind dabei die Folge der zwanghaften Vorstellung, für die Kunden alles tun zu müssen. Dass entnervte Mitarbeiter Hörstürze und Herzinfarkte erleiden, ist keine Seltenheit. Es gibt allerdings Ausnahmen wie die renommierte Agentur Springer & Jacoby, die einzelne Gruppen zum Brainstorming schon mal für ein paar Tage ins firmeneigene Konferenzzentrum nach Mallorca schickt.

Andere glauben indes, dass der tägliche Stress den eigentlichen Reiz des Jobs ausmache. „Es gibt kein größeres Glück, als wenn man unter Hochdruck gemeinsam etwas Gutes auf die Beine gestellt hat“, sagt etwa Carlos Obers, Sprecher des Art Directors Club (ADC) Deutschland. „Dabei werden eine Menge Endorphine ausgeschüttet, da kann man ruhig ein paar Ringe unter den Augen in Kauf nehmen.“ Schlecht sei laut Obers nur jener Stress, der „von außen kommt und nicht selbst bestimmt ist“.

Die Belastungen in Werbe- und Internetfirmen seien zwar nicht zu unterschätzen, sagt hingegen Roland Ritter vom MenergeMent Trainer- und Beratungsinstitut in Lüneburg, aber freilich häufig hausgemacht. Ritter war selbst davon überrascht, zu sehen, wie hierachisch viele Firmen in der Branche organisiert sind. „Es gibt hier eine sonderbare Mischung aus hoher Emotionalität und großer Konformität.“ Viele Agenturen seien in ihrem Führungsstil gar konservativer als Banken, meint Ritter. Alle strebten nach Harmonie, um beständig „kreativ“ zu sein. Darum würden Probleme nicht offen zur Sprache gebracht.

Geeigneter zur Stressbewältigung als Yoga oder Meditation hält Ritter in solchen Fällen die „appreciative inquiry“ – einen wertschätzenden Ansatz, der von den bestehenden Stärken des jeweiligen Unternehmens ausgehend nach den Schwächen und unausgesprochnenen Konflikten sucht, die es zu lösen gilt.

Dass der Stress nicht selten selbst verschuldet sei, meint auch Ritters Kollege Christian Birkholz – zum Beispiel der Termindruck: „Es ist Unsinn, einem Kunden zu versprechen, eine umfangreiche Broschüre bis zum nächsten Nachmittag fertig zu machen.“ Dadurch würden auch die Preise „versaut“. Weil in den Agenturen ein „übertriebener Aktionismus“ herrsche und viele nicht zwischen „scheinbar Dringendem und tatsächlich Wichtigem“ unterscheiden könnten, bietet Birkholz Seminare an, in denen er lehrt, mit der knappen Zeit zu haushalten.

Wer es einmal geschafft hat, sich an die Arbeitsbedingungen der Werbebranche zu gewöhnen und ein paar Jahre durchzuhalten, ist irgendwann unweigerlich mit einem Makel behaftet: seinem Alter. Denn ab Jahrgang 60 wird die Luft in den Agenturen allmählich dünn; das Fachmagazin Werben & Verkaufen spricht gar von einem „Jugendwahn der Szene“, der in Deutschland besonders ausgeprägt sei. Auch ADC-Sprecher Obers räumt ein, ältere Kreative hätten es schwer, zumal man in der Branche „nicht von alleine die Treppe hochfällt“.

Heiko Albrecht von der Akademie für Elektronisches Publizieren (AEP) in Hamburg schätzt die Situation der altgedienten Mitarbeiter ähnlich ein: Wer im Alter zwischen 30 und 40 Jahren die Karriereleiter nicht ein Stückchen nach oben geklettert sei, dem drohe, auf die Straße gesetzt zu werden. „Wenn man dann nicht Art- oder Kreativdirektor ist, kommt man in Schwierigkeiten.“ Vielen bleibe dann nur noch der Weg in die Selbständigkeit; nur dass sie darauf meist nicht vorbereitet seien, weil sie mit der analogen Technik groß geworden sind. Die AEP bietet daher erstmalig das – vom Arbeitsamt geförderte – halbjährige Qualifizierungsprojekt „Online-Gestaltung – Wege in die Selbständigkeit“ für über 40-jährige Grafiker oder Layouter an. „Es ist einfach unsinnig, solch gut ausgebildete Menschen nicht in den Arbeitsmarkt zu integrieren.“ Denn ältere Kreative haben gegenüber den Jungspunden durchaus eigene Qualitäten. „Mit den Jahren wird man gewiefter, lernt sich zwischendurch zu regenerieren und mit der Informationsflut umzugehen“, weiß etwa ADC-Sprecher Obers. „Ausgebrannt“, glaubt er, „sind doch nur die Flaschen.“

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