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Weltklasse im Kreis

Beim 2:1 gegen die Bayern setzt Krassimir Balakov noch einmal die Gesetze modernen Fußballs außer Kraft

STUTTGART taz ■ Gerhard Mayer-Vorfelder war noch einmal ganz der Patron vom Wasen. Immer wenn seinem VfB Stuttgart ein Coup gelungen ist, lässt er seiner Genugtuung freien Lauf. Dann weist er Kritiker zurecht und betreibt Journalisten-Schelte, als gäbe einem der kurze Moment des Erfolgs automatisch Recht. So auch jetzt, nach dem 2:1-Sieg gegen den FC Bayern München. Das Subjekt seiner samstäglichen Genugtuung hieß Krassimir Balakov. „Was wollt ihr eigentlich immer?“, fragte MV. Und antwortete sich selbst: „Balakov ist doch kein Renner und kein Grätscher, er ist ein Fußballspieler.“ Und raunzte nach dieser Belehrung: „Schreibt jetzt endlich mal, dass Balakov Weltklasse ist.“

Jetzt ist es ja so, dass Mayer-Vorfelder im Oktober sein Stuttgarter Herrschaftsgebiet abgeben muss. Es werden gewiss jede Menge Abschiedsgeschenke überreicht. Warum ihm also nicht einen letzten Gefallen tun und seinem Liebling Balakov das Prädikat Weltklasse verabreichen?

Balakov also war Weltklasse. Und jetzt kommt die Einschränkung: in zwei lichten Momenten 90 durchschnittlicher Minuten. Der 34-Jährige trat den Freistoß auf Pablo Thiams Kopf und bereitete damit den Ausgleich vor. Und er schloss einen formidablen Konter über Thiam und Roberto Pinto zum Siegtreffer ab. Das war’s, was Mayer-Vorfelder gleich in den Rang von Weltklasse erheben wollte.

Längst war es mal wieder an der Zeit für Balakov, den Nachweis zu erbringen, unabkömmlich zu sein für den VfB Stuttgart. Längst nämlich ist es diskutabel, ob die Diva Balakov tauglich ist für das Einhalten taktischer Grundordnungen des modernen Fußballs. Sein Auftritt gegen den FC Bayern ergab eine zwiespältige Antwort: Die beiden Gewinn bringenden Szenen konnten die Tatsache nicht verschleiern, dass Balakov in Halbzeit eins seine Aufgabe anscheinend darin sah, den korrekten Radius des Mittelkreises zu verifizieren.

Dass dadurch dem Rest der Mannschaft mehr Arbeit in Form von mehr Laufbereitschaft aufgebürdet wird, wird geduldet, solange Balakov Tore schießt und vorbereitet. Wie in Halbzeit zwei dann auch geschehen. „Da ist er in die Nahtstellen gegangen“, vernahm Stuttgarts Trainer Ralf Rangnick, „in die Bereiche, wo es gilt, Torgefährlichkeit auszustrahlen.“

Dass sich Balakov samt Kollegen überhaupt recht einfach in Szene setzen konnten, daran trug der Kontrahent freilich eine gehörige Portion an Mitschuld. Die Münchner machten den Eindruck, als wollten sie geradezu unter Beweis stellen, nicht die titulierte „Übermannschaft“ zu sein. Der Deckungsverbund war so behäbig wie in alten Matthäus-Zeiten, Kreativkraft Mehmet Scholl blieb – ohne Unterstützung aus den eigenen Mittelfeldreihen (Fink und Sforza) – wirkungslos, weshalb die Spitzen erst gar nicht ins Spiel eingreifen konnten. „Einige Spieler haben ihre Leistung nicht abgerufen“, zürnte Münchens Trainer Ottmar Hitzfeld. Das Wort „einige“ war dabei noch reichlich untertrieben.

Und selbst nach dem Rückstand hatte man nicht gerade das Gefühl, der deutsche Meister hätte großes Interesse daran, die erste Saison-Niederlage irgendwie abzuwenden. Weder kämpften sie, noch hatten sie Ideen. Bis auf einen: Oliver Kahn. Es stellt der potenziellen Kreativabteilung allerdings nie ein gutes Zeugnis aus, wenn der Torwart das Offensivspiel versucht zu organisieren. Der 70 Meter lange und genauso hohe Luftball meist auf Jancker erwies sich aber als untaugliches Mittel.

Von all diesen Münchner „Fahrlässigkeiten“ (Hitzfeld) profitierte der VfB Stuttgart – und eben auch Balakov. Vorerst zumindest. „Wenn Balakov in Form ist, ist er ein Gewinn für die Mannschaft“, stellte Stuttgarts Trainer Ralf Rangnick nüchtern fest. In Form heißt in Mayer-Vorfelders Kategorien bekanntlich Weltklasse. Von Balakov wird demnach noch einiges zu sehen sein. THILO KNOTT

VfB Stuttgart: Hildebrand - Meißner, Soldo, Bordon, Carnell - Pinto (73. Seitz), Thiam, Balakow (90. Endreß), Lisztes, Gerber - Ganea (66. Dundee) FC Bayern München: Kahn - Sagnol, Andersson (77. Strunz), Linke, Lizarazu - Salihamidzic, Sforza (70. Hargraeves), Fink - Scholl, Jancker, Santa Cruz (46. Di Salvo)Zuschauer: 51.500 Tore: 0:1 Jancker (5.), 1:1 Thiam (30.), 2:1 Balakov (63.)

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