„Gewalt von links ist keine Antwort“

Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem über rechte Aufmärsche und linke Gegendemonstrationen

taz: Herr Hoffmann-Riem, in diesem Sommer muss sich das Bundesverfassungsgericht regelmäßig mit Verboten rechtsradikaler Demonstrationen beschäftigen. Nervt Sie das?

Hoffmann-Riem: Wie ich das persönlich finde, spielt hier keine Rolle. Aber es ist natürlich eine starke Belastung für das Gericht, wenn wir am Wochenende ganz kurzfristig Entscheidungen treffen müssen.

Wie viel Zeit haben Sie für eine solche Entscheidung überhaupt noch zur Verfügung?

Oft sind es nur wenige Stunden. Meist werden wir aber vorgewarnt und verfolgen die gerichtlichen Verfahren bereits, bevor wir offiziell eingeschaltet werden.

Ganz schön viel Aufwand. Gibt es auch Kritik, dass sich das Gericht mit den Verfassungsbeschwerden der Rechten zu viel Mühe gibt?

Solche Kritik gibt es, und wir müssen sie aushalten. Es kann aber nicht sein, dass das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit nur noch für die gilt, die dem Staat genehm sind. Unsere Aufgabe ist es, die Grundrechte zu schützen, und dieser Aufgabe kommen wir nach.

Sollen die Wochenendeinsätze also zur Dauereinrichtung werden?

Nein. Wir formulieren unsere Begründungen so, dass sie auch in anderen Fällen Orientierung geben können. Und ich habe durchaus den Eindruck, dass unsere Botschaft in der Gesellschaft angekommen ist. In den letzten Wochen haben viele Gerichte in Demonstrationsfragen sehr differenziert entschieden und sich dabei an unsere Beschlüsse gehalten.

Was war Ihre wichtigste Botschaft?

Eine Demonstration kann nur dann verboten werden, wenn konkrete Indizien für einen unfriedlichen Verlauf vorliegen. Der bloße Hinweis auf irgendwelche Vorgänge in der Vergangenheit und an anderen Orten reicht nicht aus.

Kam es bei Demonstrationen, die das Verfassungsgericht ermöglicht hat, dann doch zu Gewalttätigkeiten?

Die Demonstrationen selbst verliefen im Wesentlichen friedlich. Soweit es zu gewaltsamen Zwischenfällen kam, gingen diese von Gegendemonstranten aus.

Wenn eine rechtsradikale Demonstration am Ende doch noch genehmigt wird, dann sind meist mehrere Hundertschaften der Polizei im Einsatz.

Ich finde es schlimm, dass ein Grundrecht nur noch unter Polizeischutz ausgeübt werden kann. Rechtlich gibt es zu solchen Polizeieinsätzen zwar keine Alternative, gesellschaftlich ist hier allerdings etwas aus dem Ruder gelaufen.

Ist das eine Kritik an der Antifa-Bewegung?

Das Verfassungsgericht hat neulich in aller Deutlichkeit erklärt: „Gewalt von ‚links‘ ist keine verfassungsrechtlich hinnehmbare Antwort auf eine Bedrohung der rechtsstaatlichen Ordnung von ‚rechts‘.“ Solidarität gegen rechts reicht nicht, wir brauchen gesellschaftliche Solidarität gegen jedwede Gewalt. Im Übrigen halte ich die linke Gegengewalt auch für unsinnig, denn sie verschafft den oft kümmerlichen Neonazi-Kundgebungen eine Aufmerksamkeit, die sie sonst gar nicht hätten.

Was halten Sie von dem in der Öffentlichkeit diskutierten Vorschlag, an bestimmten Stellen, die ein hohes Maß an Aufmerksamkeit erregen – etwa dem Brandenburger Tor in Berlin – mit einem Demonstrationsverbot zu belegen?

Das kommt auf die Umstände an. Noch immer gilt die Aussage im Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts. Eine bloße Gefährdung der öffentlichen Ordnung reichte für ein Demonstrationsverbot in der Regel nicht aus.

Im niedersächsischen Tostedt haben Sie im April eine Demonstration der Jungen Nationaldemokraten mit eigenen Augen verfolgt.

Ich denke, es ist gut, wenn ein Verfassungsrichter die Realität kennt, über die er Entscheidungen trifft. Das halte ich auch in anderen Fällen so. Aber es war schon eine seltsame Situation. Die Tostedter haben sich überhaupt nicht für diese Demonstration interessiert, ich war fast der einzige Zuschauer.

INTERVIEW: CHRISTIAN RATH