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Ein Festtagsmahl mit Zaungästen

Intuitive Sehnsucht nach Kino: Der Dogma-Film „Das Fest“ von Thomas Vinterberg kommt gleich in mehreren Fassungen auf die Bühne. Doch für Zooms, Schwenks und Schnitte gibt es keinen einfachen Transfer, wie die Uraufführung in Dortmund zeigt

von MORTEN KANTSTEINER

Für Thomas Ostermeier und seine Mitstreiter an der Berliner Schaubühne ist das „Ideal eines zeitgenössischen Theaters“, neue Zuschauer zu begeistern. Und zwar solche, die „sich intuitiv für gut erzählte Geschichten entscheiden, also meistens für das Kino“. Indem das neue Schaubühnen-Ensemble im vergangenen Jahr mit dieser Maxime angetreten ist, hat es die Konkurrenz benannt, der das Theater in Zeiten seiner Verpoppung ausgesetzt ist: Je mehr das Schauspiel auf elitäre Abgrenzung verzichtet, desto direkter tritt es gegen das Kino an. Das Theater müsse es schaffen, genau wie der Film Stars hervorzubringen, hat der Ex-Poptheater-Leiter Leander Haußmann einmal gesagt.

Eine Methode, auf die Konkurrenz zum Kino zu reagieren, ist der Griff in seinen Fundus. Regisseure wie Michael Simon bringen mit Lichtwechseln die Montage auf die Bühne, andere adaptieren ganze Filmgeschichten. An „Trainspotting“ haben sich vor ein paar Jahren sowohl Frank Castorf als auch das freie Kölner „Trash Theater“ versucht. Andreas Kriegenburg inszenierte zur selben Zeit Aki Kaurismäkis „I hired a contract killer“.

Jetzt haben gleich zwei Theater Adaptionen von Thomas Vinterbergs Dogma-Film „Das Fest“ an den Anfang ihrer Spielzeit gesetzt. Auf die Uraufführung am Theater Dortmund am Samstag folgte gleich am Sonntag die Premiere am Staatsschauspiel Dresden. Auch in Neuss soll „Das Fest“ nächstes Jahr auf die Bühne kommen, und weitere Theater liebäugeln mit dem Stoff.

Auf den ersten Blick ist „Das Fest“ wirklich wie geschaffen für die Bühne. Der Film arbeitet mit wenigen Zeitsprüngen und Ortswechseln. Aufwändige Beleuchtung, Kamerafahrten, Sounds und Tricks sind gemäß der „Dogma“-Regeln verboten. Im Mittelpunkt soll die Story stehen, eben jene „gut erzählte Geschichte“, um die die Schaubühnen-Manifestanten das Kino beneiden. Dabei ist die Grundkonstellation des Stoffes nicht sonderlich originell: Dass die edle Fassade beim 60. Geburtstag des Patriarchen einer traditionsbewussten Familie Abgründe verbirgt, versteht sich heute, eine Generation nach 1968, praktisch von selbst.

Interessant ist deswegen nicht die Enthüllung des ältesten Sohnes Christian, dass sein Vater ihn und seine Schwester jahrelang vergewaltigt hat. Interessant sind Details: Wie Christian an seiner Gabel kaut, wie er das Festprotokoll ausnutzt, um seiner Mitteilung Nachdruck zu verleihen, und wie die anderen den Skandal mit Hilfe der Tischsitten überspielen wollen.

Diese Stärken des Stoffs sind nicht eben leicht auf die Bühne zu bringen. Die Uraufführung von Burkhard C. Kosminski gibt die Geschichte ordentlich wieder, verfehlt aber einen wesentlichen Punkt: Die Öffentlichkeit, die das Spiel von Enthüllen und Vertuschen während der Feier erst auslöst, kommt überhaupt nicht zustande. Es versammelt sich keine vielköpfige, hochherrschaftliche Festgemeinschaft, sondern eine erweiterte Familie mit einem Faible für dubiose Fummel (Bühne und Kostüme: Florian Etti). Die passiven Gäste fehlen und mit ihnen die öffentliche Meinung, auf die sich das Taktieren von Vater und Sohn richten könnte. Da hilft es nicht, dass das Publikum mit auf der Bühne sitzt. Es bleibt auf einer provisorischen Bühne untergebracht, außerhalb des Geschehens. Die Dresdner Inszenierung von Michael Thalheimer geht da weiter: Die Zuschauer sitzen direkt an der Festtafel.

Auch mit den formalen Feinheiten von Vinterbergs Film kann die Uraufführung nicht mithalten. Die Dogma-Filmer mögen noch so viel glauben machen, sie würden einfach nur die Kamera draufhalten – ihre Filme sind brillant komponiert. Vinterberg weiß, wie er mit Nahaufnahmen Emotionen schürt. Und die Kamerabewegungen und der Schnittrhythmus verstärken präzise die Atmosphäre der jeweiligen Situation.

Um dem etwas entgegenzusetzen, müsste das Theater Distanz zum Film halten und die eigenen Mittel ausschöpfen. Wie das aussehen könnte, hat die Dortmunder Adaption nicht gezeigt. Der Zuschauer wird sich intuitiv für das lokale Programmkino entscheiden, in dem „Das Fest“ bald wieder zu sehen ist.

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