HONGKONGS WÄHLER SEHEN IN DER STIMMABGABE KEINEN SINN
: Ein Bärendienst für die Demokratie

Nur 43,5 Prozent der Wahlberechtigten haben am Sonntag bei den Wahlen in Hongkong ihre Stimme abgegeben – zehn Prozent weniger als beim Urnengang zum „Legislativrat“ 1998, der bei sintflutartigen Regenfällen stattfand. Heute finden viele Hongkonger Abstimmungen offensichtlich sinnlos. Darin werden sie von prominenten Streitern der Demokratiebewegung wie etwa der bisherigen Abgeordneten Christine Loh bestärkt. Loh trat nicht wieder an. Als Grund gab sie an, sie sei von ihrer Machtlosigkeit als Parlamentarierin frustriert.

Tatsächlich haben Hongkongs Abgeordnete einen merkwürdigen Job: Die Regierung kann fast völlig unabhängig von ihnen agieren. Die Volksvertreter können zwar kontrollieren, aber so gut wie nicht sanktionieren. Und da nur 24 der 60 Sitze in allgemeinen Wahlen vergeben werden, der Rest aber von konservativen Verbänden und einem Peking-freundlichen Wahlkomitee bestimmt wird, haben progressive Kandidaten ohnehin kaum Chancen, jemals in den Legislativrat zu gelangen. Die Regierungspolitik beeinflussen können die Abgeordneten nicht. Skandale und das Taktieren der Parteien tragen dazu bei, dass viele Hongkonger sich von der parlamentarischen Politik abwenden.

Dabei wurde früher durchaus lebhaft über die Zukunft der Kronkolonie gestritten – etwa, als es um die Rückgabe an China ging. Als in der Volksrepublik 1989 die Demokratiebewegung blutig niedergeschlagen wurde, gingen in Hongkong über eine Million Menschen auf die Straße – damals ein Sechstel der Bevölkerung. Hongkongs Bürger sind offensichtlich nicht per se unpolitisch, auch wenn ein gängiges Vorurteil behauptet, sie interessierten sich nur fürs Geldverdienen.

Es scheint naheliegend, das merkwürdige politische System Hongkongs den neuen Herren der Stadt anzulasten. Doch das trifft den Kern nicht. Denn tatsächlich halten sich Chinas Kommunisten weitgehend aus der Politik in der Sonderwirtschaftszone heraus. Das können sie sich leisten, weil ihnen die frühere Kolonialmacht Großbritannien ein perfekt eingespieltes, semidemokratisches System überlassen hat, das früher die Interessen Londons und heute die Pekings sichert. So konnte China zuerst die vom letzten britischen Gouverneur Chris Patten durchgeführten demokratischen Reformen rückgängig machen, weil es sich dabei übergangen fühlte – und anschließend für die jetzigen Wahlen sogar 24 statt der bisherigen 20 Sitze von der ganz normalen Bevölkerung wählen lassen. Das zeigt den Zustand der Demokratie in Hongkong – und die Folgen des Versäumnisses der Briten, keine Demokratie verankert zu haben. London hat Hongkongs Demokratie einen Bärendienst erwiesen. SVEN HANSEN