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Ab jetzt wird aber aufgepasst

■ Das Musical „Jekyll & Hyde“ hat ein Millionenloch gerissen. Die Grünen wollen es nicht stopfen, die SPD dagegen schon, weil das Musical eine Ankerfunktion in der touristischen Entwicklung Bremens hat. Ein Gespräch

Das Musical „Jekyll & Hyde“ kommt den Steuerzahler teuer zu stehen. Statt der geplanten jährlichen Subvention in Höhe von 1,7 Millionen Mark, erhält das Theater am Richtweg in diesem Jahr inklusive Darlehen rund zehn Millionen Mark von der Stadt beziehungsweise von städtischen Gesellschaften. Neben den oppositionellen Bündnisgrünen reagierte auch die SPD verärgert auf das Millionenloch bei „Jekyll & Hyde“. SprecherInnen beider Parteien kritisierten die Informationspolitik des CDU-geführten Wirtschaftsressorts und der Hanseatischen Veranstaltungsgesellschaft HVG. Doch während die Grünen weitere Zahlungen an das Musical ablehnten, stimmte die SPD der Auszahlung einer ersten Rate von 4,5 Millionen Mark zu. Deshalb baten wir Eva-Maria Lemke-Schulte (SPD) und Helga Trüpel (Grüne) zum Gespräch über die Lehren aus der Musical-Krise und die Folgen für die touristische Entwicklung Bremens. Lemke-Schulte ist Vorsitzende der Wirtschaftsförderungsausschüsse und war während der Ampelkoalition von SPD, Grünen und FDP von 1991-95 Bausenatorin. Trüpel ist wirtschafts- und kulturpolitische Sprecherin ihrer Partei und war zu Ampelzeiten Kultursenatorin.

taz: Frau Lemke-Schulte, Sie bestehen weiterhin auf lückenloser Aufklärung und sagen, dass bislang noch kein Sanierungskonzept vorliegt. Was fehlt Ihnen noch?

Eva-Maria Lemke-Schulte: Wir haben die erste Tranche in Höhe von 4,5 Millionen Mark freigegeben. Es geht um eine Gesamtsumme von acht Millionen Mark, und dafür braucht man ein zukunftsfähiges und aussagekräftiges Sanierungskonzept. Dafür müssen die jetzt noch auf privater Seite offenen Fragen geklärt werden. Dazu gehört unter anderem, dass die Sparkasse bei ihrer Kreditlinie bleibt und dass die Lizenzgeber MTI künftig auf Lizenzgebühren verzichten. Das muss schriftlich vorliegen. Und dazu gehört, dass ein Controlling eingeführt wird.

Warum gab's das nicht?

Lemke-Schulte: Dafür waren wir nicht verantwortlich, sondern das Wirtschaftsressort und die HVG. Die haben mehrfach die Verträge geändert ...

Helga Trüpel: ... ohne dass wir davon etwas erfahren haben.

Lemke-Schulte: ... ohne uns zu informieren. Dann haben sie die Zahl der Sitzplätze im Theater von 1.300 auf 1.459 erhöht, ohne uns zu informieren ...

Trüpel:  ... mündlich hat der HVG-Geschäftsführer Michael Göbel uns Parlamentariern gegenüber das mal gemacht.

Lemke-Schulte: Aber nur by the way.

Trüpel: Genau. By the way, und dann hat er gesagt: „Das ist so kompliziert, das verstehen Sie alles nicht.“

Lemke-Schulte: Ja. Und dann hat Wirtschaftssenator Josef Hattig (CDU) die Debatte abgebrochen.

Es gibt neben dem betriebswirtschaftlichen auch ein politisches Controlling. Schließlich haben die Wirtschaftsförderungsausschüsseden ursprünglichen Verträgen zugestimmt. War das politische Controlling ausreichend?

Lemke-Schulte: Wir haben gerade beispielhaft erwähnt, wie viele Fragen gestellt worden sind. Wenn man auch auf Nachfrage die Antwort erhält, alles sei im grünen Bereich, dann muss man davon ausgehen, dass es in der Tat so ist. Um da weiter nachzuhaken, braucht man interne Informationen, und die hatten wir nicht.

Trüpel: Die sollten wir auch gar nicht haben.

Lemke-Schulte: Zu den Konsequenzen zählt jetzt, dass man sich über das Controlling von diesen ausgegliederten Gesellschaften Gedanken macht. Das sieht der Koalitionspartner CDU offenbar inzwischen auch so. Das Ganze ist allerdings rechtlich eine schwierige Angelegenheit. Als vom Senat entsandtes Aufsichtsratsmitglied muss man auch als Abgeordneter die Senatsmeinung vertreten, und zweitens muss man sich der kontrollierten Gesellschaft gegenüber loyal verhalten.

Trüpel: Die Mitgliedschaft in Aufsichtsräten kann deshalb nicht das einzige Mittel der parlamentarischen Kontrolle sein.

Lemke-Schulte: Darüber muss man sich Gedanken machen. Außerdem sind auch intern Fehler gemacht worden: Um zu sparen, hat der amtierende Geschäftsführer die Marketingausgaben eingespart. Das war ein fataler Fehler, der jetzt korrigiert wurde. Ich hoffe deshalb, dass das Musical überlebt und dass es erfolgreich ist. Denn ich finde, die Schauspieler sind klasse, das Haus ist klasse, und das Musical ist nicht umsonst zum Musical des Jahres 1999 gewählt worden. Deshalb kann man auch auf steigende Zuschauerzahlen setzen. Das Musical hat eine Ankerfunktion im gesamten Tourismuskonzept. Die Übernachtungszahlen haben sich erheblich erhöht.

Trüpel: Wir sind jetzt bei über einer Million Übernachtungen. Nach Angaben des Musicals selber gehen 60.000 Übernachtungen auf sein Konto.

Lemke-Schulte: Man muss aber auch die regionalwirtschaftlichen Effekte mitzählen, und deshalb sage ich: Das Musical hat eine Ankerfunktion im ganzen Konzept und steht im Zusammenhang zu den Projekten der vergangenen Jahre. Zum Teil sind die Planungen in der Zeit der Ampelkoalition entstanden. Sonst könnten die gar nicht so viel eingeweiht haben. Das muss man auch mal sagen.

Trüpel: Das muss man. Wir als Ampelsenatorinnen.

Lemke-Schulte: Eben. Die Glocke, die Schlachte ...

Trüpel: ... das Focke-Museum, die Kunsthalle, das Wagenfeld-Haus, der Erweiterungsbau für das Schifffahrtsmuseum.

Lemke-Schulte: Man kann die Liste beliebig fortsetzen. Es ist in den letzten Jahren auch etwas Neues hinzugekommen. Das Universum zum Beispiel ist eine spektakuläre Angelegenheit. Da bin ich optimistisch, dass die erwarteten Besucher (300.000 pro Jahr; Anm. d. Red.) auch kommen. Das Universum ist für Deutschland einmalig.

Trüpel: Weltweit gibt es 1.200 von diesen Science-Centern, in Deutschland ist das Universum das erste.

Die Grünen haben in der Sondersitzung der Wirtschaftsförderungsaus-schüsse gegen weitere Sanierungsgelder für das Musical gestimmt. Was würden die Grünen bei einem Musicalkonkurs mit der Immobilie machen?

Trüpel: Wir haben 1996 der Vorlage zur Errichtung des Musicals zu den damals ausgehandelten Konditionen nicht zugestimmt, weil der Unternehmer die Gewinne einstreicht und der Steuerzahler das unternehmerische Risiko trägt. Wir haben keine Politik gegen das Musical als solches gemacht. Alles, was jetzt passiert ist, ist der Ausfluss dieser aus unserer Sicht schlecht verhandelten Verträge. Außerdem gibt es ein Einnameproblem beim Musical und eine Kostenexplosion. Sie können jetzt ja noch nicht mal sagen, ob die Liquiditätslücken nicht höher sind als 12,84 Millionen Mark, weil die Geschäftsführung nicht in der Lage war, die nötigen Belege rüberzureichen. Das ist ein Hammer. Und ich bin nicht bereit, einer stümperhaften Vorlage meinen Segen zu geben. Ich bin andererseits nicht in der Verpflichtung der großen Koalition, mich in die Verantwortung reinziehen zu lassen. Der zweite Grund, warum ich der ersten Tranche nicht zustimmen konnte, liegt in den Prognosen dafür, wie es mit Jekyll & Hyde weitergeht. Die Abfinanzierung läuft bis 2018. Es gibt überhaupt keine Einstellung in der mittelfristigen Finanzplanung darüber, was neue Musicals kosten und wer dafür gerade zu stehen hat. Aber zugleich werden in den Prognosen in den Jahren 2006, 2007 und 2013 und 2014 pro Jahr 490.000 Besucher erwartet. Ich halte solche Prognosen für mehr als abenteuerlich. Es ist für mich keine Grundlage, nach dem Motto Glaube, Liebe, Hoffnung zu sagen, das wird schon alles gut gehen. Wenn man alles zusammenrechnet, sind bisher schon 70 Millionen Mark für das Musical ausgegeben worden. Das ist relativ viel Geld für 60.000 zusätzliche Übernachtungen. Es wäre für Bremen aber noch teurer, wenn die Immobilie leer stünde. Deshalb ist die große Koalition gezwungen, da was stattfinden zu lassen. Ich glaube, über kurz oder lang wird man Musicals einkaufen müssen. Die SPD hat verlangt, dass es einen privaten Betreiber gibt. Das ist das mindeste. Wenn man den Kulturetat und die laut mittelfristiger Finanzplanung vorgesehene Einsparung von 30 Prozent sieht, ist das eine De-facto-Umverteilung zu Gunsten des Musicals.

Frau Lemke-Schulte, Sie haben Glaube, Liebe, Hoffnung?

Lemke-Schulte: Das ist eine völlig falsche Zuordnung, wir würden nach Glaube, Liebe, Hoffnung handeln. Auch die Opposition muss sich mehr einfallen lassen. Die Frage nach Alternativen ist nach meinem Dafürhalten nicht beantwortet. Wir haben Bedingungen gestellt, die das Wirtschaftsressort und die HVG bis zum 5. Oktober abarbeiten sollen, um die endgültige Zustimmung für die zweite Tranche des Darlehens geben zu können. Wir sind aber zu nichts gezwungen. Ein Darlehen muss übrigens zurückgezahlt werden.

Trüpel: Wird es doch nicht. Ich habe Wirtschaftssenator Hattig gefragt: „Ist das die letzte Liquiditätshilfe?“ Seine Antwort war: „Das kann ich nicht zusagen.“ Da stelle ich die Frage, wo ist für die große Koalition das Ende der Fahnenstange?

Lemke-Schulte: Das hat der Senator so nicht gesagt.

Trüpel: Natürlich hat er das gesagt.

Lemke-Schulte: Im PwC-Gutachten (Die Unternehmensberatung PwC hat den Musicalbetrieb analysiert; Anm. d. Red) wird bestätigt, dass das Musical überlebensfähig ist, aber dass es eine etwas härtere Nummer wird. Ich beschreibe kein Ende der Fahnenstange. Ich sitze hier und sage: Ich hoffe, dass es läuft. Zu den Einsparungen im Kulturbereich: Wir haben 9,5 Millionen Mark zusätzlich für den Kulturbereich bereit gestellt.

Trüpel: Nachdem zuvor etwas weggenommen wurde.

Lemke-Schulte: Wir haben 9,5 Millionen Mark bereit gestellt, und das ist in dem gesamten schwierigen Gefüge der Haushaltsnotlage eine erhebliche Summe.

Die Grünen sind gegen weitere Subventionen für das Musical und gegen den Space Park – die Opposition als ewiger Verhinderer?

Trüpel: Das möchte ich ganz hart zurückweisen. Man sieht an unserer Zustimmung zum Universum, dass es uns gar nicht darum geht, jedes Projekt der großen Koalition aus Prinzip abzulehnen. Das Universum ist eins der ISP-Projekte, dem ich zugestimmt habe, weil es ein Projekt ist, in dem Bremen ein Stück die Nase vorn hat. Das passt gut zur ganzen Strategie, in Forschung und Entwicklung zu investieren. Das reicht bis hin zur neuen Universität in Bremen-Grohn. Der Grundansatz des Universum ist wirklich großartig, und die Architektur ist eine Visitenkarte für Bremen. Insgesamt ist die Tourismusstrategie der großen Koalition aber überdimensioniert. Die Zahlen beim Ocean Park und beim Space Park sind viel zu hoch angesetzt. Ich komme da einfach nicht mehr mit, wenn der Space Park mehr Besucher anlocken soll als Euro-Disney. Man muss sich bei allen Projekten fragen: Passen Sie zu dieser Stadt? Bremen ist etwas Besonderes, aber Bremen ist keine Metropole.

Lemke-Schulte: Was? Bremen ist ein Oberzentrum!

Trüpel: Bremen ist eine Großstadt, aber ich halte den Metropolenzauber für falsch. Die Tourismusprojekte müssen zu Bremen und Bremerhaven passen.

Lemke-Schulte: Ich finde, Bremen macht Projekte, die absolut zu Bremen passen. Es hat sich wirklich viel getan. Bremen ist eine Stadt mit ganz viel Charme, Offenheit und – auch das ist ein Standortfaktor – mit ganz viel Grün. Über viele Projekte wird gar nicht viel geredet, aber sie passen. Da gibt es das Packhaus Sankt-Jacobus mit täglich 300 Besuchern oder das Projekt „Welt im All“ mit 1.000 Besuchern im Monat. Ich finde, wir sind ein ganz großes Stück vorangekommen. Bremen hat inzwischen eine touristische Infrastruktur, die sich sehen lassen kann. Bremen ist ein Juwel.

Trüpel: Das ist richtig, es sind in letzter Zeit ganz viele tolle Geschichten passiert, die wir zum Teil noch in der Ampel angeregt haben und wenige, die jetzt neu dazu gekommen sind. Wenn es um Space und Ocean Park mit einer Größenordnung von einer Milliarde Mark staatlicher Gelder geht ...

Lemke-Schulte: Eine Milliarde ist absolut falsch. Die öffentliche Förderung beträgt 280 Millionen Mark hauptsächlich für die Infrastruktur und für die Aufwertung des Nebenzentrums Gröpelingen sowie der Innenstadt. Alles andere sind private Investitionen.

Trüpel: Ich redete vom Ocean und Space Park zusammen.

Lemke-Schulte: Über den Ocean Park rede ich jetzt gar nicht.

Trüpel: Das war eins der großen Projekte der großen Koalition, das abgestürzt ist.

Lemke-Schulte: Noch ist es nicht abgestürzt. Die Bremerhavener mit ihrer neuen Regierung und ihrem neuen Bürgermeister Jörg Schulz sind da sehr aktiv.

Trüpel: Dagegen sind wir nicht ...

Lemke-Schulte: Und beim Space Park ist das private Betreiberrisiko sehr hoch.

Beim Space-Park wird sich Jekyll & Hyde nicht wiederholen?

Lemke-Schulte: Ich bin sicher, das wird es nicht.

Trüpel: Vielleicht machen sie da auch wieder andere Verträge, von denen wir nichts erfahren.

Lemke-Schulte: Da passen wir auf. Das Land Bremen hat nichts zu verschenken. (Sie klappt einen Bremen-Marketing-Prospekt auf und zeigt auf das Veranstaltungsprogramm:) Ich möchte, dass Bremen boomt, lebt, dass die Bürgerinnen und Bürger sich wohl fühlen und dass wir viele Besucher haben.

Fragen: Christoph Köster

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