: Das Ende einer Hofkapelle
Nach dem angekündigten Abgang Daniel Barenboims droht der Staatsoper das Aus. Im Sommer 2002 wird das Haus führungs- und obdachlos. Die Deutsche Oper darf die Reste übernehmen
von RALPH BOLLMANN
Wenn Barenboim geht, dann kommt wohl das Ende. Nach der Ankündigung des Maestros, seinen Vertrag als künstlerischer Leiter nicht zu verlängern, kämpft die Staatsoper ums Überleben. Vieles spricht derzeit dafür, dass das älteste Berliner Musiktheater zum ersten Opfer der neuen Opernpläne von Kultursenator Christoph Stölzl wird. Die Spielzeit, die übermorgen mit Bellinis „Norma“ beginnt, könnte die vorletzte in der fast 260-jährigen Geschichte des Hauses sein.
Nicht nur Daniel Barenboims Vertrag läuft im Jahr 2002 aus, auch sein Intendant Georg Quander ist nur noch für zwei Jahre an das Haus gebunden und liebäugelt für die Zeit danach mit einem Wechsel an die Dresdner Semperoper. Doch zu diesem Zeitpunkt wird die Staatsoper nicht nur führungs-, sondern auch obdachlos: Seit im Vorjahr schwere Pannen bei der Hydraulik auftraten, ist klar, dass die längst fällige Sanierung des Hauses nicht länger verschoben werden kann. Nach jetzigem Planungsstand sollen die 100 Millionen Mark teuren Arbeiten im Sommer 2002 beginnen.
Udo Zimmermann, vom kommenden Jahr an Chef der Deutschen Oper in Charlottenburg, hat bereits generös angeboten, den Kollegen in seinem Haus Asyl zu gewähren. Die heiß diskutierte Fusion der beiden größten Berliner Opernhäuser wäre dann faktisch bereits vollzogen: Warum es – wenn auch nur übergangsweise – zwei Ensembles in einem Haus geben soll, wäre der Öffentlichkeit nur schwer zu vermitteln.
Dem Vernehmen nach hat Kultursenator Stölzl als Ausweichquartier für die Staatsoper das Theater des Westens an der Charlottenburger Kantstraße ins Auge gefasst, das derzeit dem Konkurs entgegentreibt. Auch damit wären die Musiker aus Mitte der Deutschen Oper dann näher gerückt.
Von einem echten Zusammenschluss könnte bei der jetzigen Personallage kaum noch die Rede sein: Wo „Fusion“ draufsteht, wäre dann nur noch „Deutsche Oper“ drin. Dass Zimmermann im Fall einer Opernfusion zum Generalintendanten avanciert, ist nach Barenboims Absage fast schon gewiss. Und der Charlottenburger Musikchef Christian Thielemann kann sich gute Chancen ausrechnen, diese Position auch in einer neuen Mega-Oper zu bekleiden.
Rettung können sich die Musiker der Staatsoper in dieser Lage nur noch von Barenboim erhoffen. Denn der Maestro hat noch nicht ausgeschlossen, nach seinem Abgang als künstlerischer Leiter weiterhin die Staatskapelle zu dirigieren. Schließlich hat sich das älteste Orchester Berlins, das 1570 eine „Kapellordnung“ erhielt und seit 1742 in der Hofoper Dienst tat, unter Barenboims Leitung zum international anerkannten Spitzenensemble gemausert.
Die Lage ist paradox: Geht Barenboim, bedeutet das wohl das Ende einer selbstständigen Staatsoper. Bleibt er hingegen, wird es auch bei dem unsinnigen Wettstreit zwischen den beiden großen Häusern bleiben, der das Desaster erst herbeigeführt hat: Der Dirigent ist just auf jenes Repertoire fixiert, das in der weit größeren Deutschen Oper viel besser aufgehoben wäre.
Ohnehin ist es erstaunlich, wie schnell sich in der turbulenten Berliner Kulturpolitik der Wind drehen kann. Vor einigen Jahren noch hätte kaum ein Beobachter auch nur einen Pfifferling auf die Zukunft der Deutschen Oper gewettet – zu sehr war das Haus in der Spätzeit des Intendanten Götz Friedrich finanziell wie künstlerisch ins Schlingern geraten. Damals wähnte sich die Staatsoper als repräsentative Hauptstadtbühne schon in Sicherheit – wie es aussieht, zu früh.
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