Adieu Archiv

■ 25 Dienstjahre im Zeitraffer: Abschied vom Leiter des Bremer Staatsarchivs

Am Anlass lag es nicht, dass Hartmut Müller gestern ein biss chen strapaziert klang – auch wenn er sich gerade weniger auf den frühen Ruhestand freue, als noch vor Wochen. Das räumte der Leiter des Bremer Staatsarchivs gestern freimütig ein – mit seiner Stimme, der man die 25 Dienstjahre anhört, die gestern im Kaminsaal des Rathauses offiziell und gediegen zu Ende gingen.

Der Kaminsaal sei ganz der passende Rahmen, bedankte sich herzlich der angehende Ruheständler. Nicht nur, weil den Historiker hier die Geschichte Bremens quasi in Stein gehauen umgebe, sondern auch, weil das Rathaus ihn jahrelang stärker beflügelt habe, als die zuständige Fachabteilung der Kulturbehörde. Dies spreche er nach reiflicher Überlegung an, so der 62-Jährige gestern vor rund 50 geladenen Gästen nach den Ansprachen von Duz-Freund und Bürgermeis-ter Henning Scherf (SPD) und dem vorgesetzten Kultursenator Bernt Schulte (CDU). Männer verlassen solche Positionen nicht ohne Vermächtnis.

Den Nachkommenden wünschte Bremens ehemaliger Oberarchivar, dass sie wieder Debatten mit mehr politischem Schwung erleben. Genauer: „Eine andere Debattenkultur“, die sich über das „Controlling und Contracting von erst McKinsey und jetzt Roland Berger“ hinaus bewege. Wobei Müller zum Abschied betonte, dass er in dieser Art der Bewertung auch eine Chance sehe. Aber sie könne nicht politische Vorgaben ersetzen, von denen er sich während seiner Amtszeit manchmal mehr gewünscht hätte – im Sinne von „Lass uns mal darüber reden“.

Der Archivdirektor, bald a.D., weiß, wovon er spricht. Er hat „unter jedem Nachkriegs-Präsidenten-des-Senats-seit-Wilhelm-Kaisen“ gearbeitet und ist stolz darauf – wenn er als letzten politischen Debatten-Höhepunkt auch die Amtszeit von Ampel-Kultursenatorin Helga Trüpel (Grüne) anführt. Die habe erfolgreich gegen den Datenschützer gekämpft und Bremen so eines der bundesweit liberalsten Archivgesetze beschert. Eine moderne Einschätzung aus dem Mund eines scheidenden Amtsleiters, der sich auch – ganz liebenswürdig und dabei altmodisch bescheiden – daran erinnerte, wie er Königin Eliza-beth II bei deren Besuch 1978 „im Rathaus die Ausstellung erklären durfte“. Oder wie er in den 70er Jahren frühe „und naive“ Versuche machte, Bremer Eigentum aus ostdeutschen Archiven zurückzubekommen. Und wie er später überwältigt war, als die großen Laster voller Dokumente beim Fedelhören um die Ecke bogen.

Auch Müller wird dort noch öfter um die Ecke biegen – und sicher auch ins Rathaus und die Kulturbehörde kommen. „Das verspreche ich und drohe ich zugleich an“, reagierte er gestern auf Mitmisch-Angebote. „Sein“ Archiv allerdings wird die nächsten eineinhalb Jahre kommissarisch vom Stellvertreter geführt – eine Folge der Altersteilzeitregelung, die Müller in Anspruch nahm. ede