: Endlich wieder Opfer
Die Sanktionen der EU haben Österreich nicht voran gebracht: Das Land zieht sich beleidigt in seine Berghütte zurück. Draußen ist der Feind, drinnen Zwangsharmonie
Die Sanktionen gegen Österreich sind weg. Einmal abgesehen von der Frage ihrer europäischen Dimension: Was haben sie für Österreich selbst bedeutet? Ihre Aufhebung krönte ein nationalhysterisches Spektakel, das der blau-schwarzen Regierung nicht nur zur willkommenen Ablenkung von ihren austro-thatcheristischen Vorhaben diente, sondern das auch die sachpolitische Inkompetenz einiger Minister gnädig verdeckte und teilweise skandalöse Auftritte von FPÖ-Politikern in den Hintergrund drängte. Die Androhung der Sanktionen hatte das Ziel gehabt, die Regierungsbeteiligung der FPÖ zu verhindern; als dieses Ziel verfehlt wurde, bemerkten die 14 zu spät das Fehlen einer Auswegsstrategie, was zu den bekannten und teilweise peinlichen Folgen führte.
Im österreichischen Inland ergaben sich jedoch widersprüchliche Effekte. Zuallererst musste Jörg Haider hinnehmen, dass ihm der Bundespräsident zwei vorgeschlagene Minister von der Liste strich: Thomas Prinzhorn, der wegen seines Statements unangenehm aufgefallen war, Ausländerinnen würden gratis Hormonbehandlungen erhalten. Er war als Finanzminister vorgesehen und wirkt nun als zweiter Nationalratspräsident. Und der als Innenminister geplante Hilmar Kabas, der für die fremdenfeindlichen Slogans im Wiener Wahlkampf verantwortlich war. Haider selbst musste eine Präambel zum Regierungsprogramm unterschreiben, in der er sich auf demokratische Minimalstandards verpflichtet. Zudem musste er sich „halbherzig, aber doch“ bei Chirac für seine Provokation vom „Westentaschen-Napoleon“ entschuldigen.
Dann aber nutzte die Bundesregierung gnadenlos die Chance, einen neuen Außenfeind zu konstruieren: die EU. Als hätten die 14 einen Lebensmittel- und Medikamentenboykott über Österreich verhängt oder Österreich schlicht ausgeschlossen, agitierten die Regierungsparteien im Verbund mit dem Boulevard gegen Brüssel. Im Landesinneren wurde die Parole „Schulterschluss“ ausgegeben; wer sich als Oppositionsführer im Ausland blicken ließ, verfiel der Feme. Selbst die Grünen passten sich an und agierten, wie man so schön sagt, besonnen.
Die Hauptsorge schien bei allen Akteuren nicht das europäische Problem zu sein, bestehe dieses nun im Aufstieg der radikalpopulistischen Rechten oder in den strukturellen Demokratieproblemen der EU: Die Hauptsorge konzentrierte sich auf Österreich. Wir sind unschuldig, hieß es, als merke man nicht, dass man damit an die Nachkriegsikonografie anknüpfte, in der das unschuldige kleine Land zum ersten Opfer des verbrecherischen Hitlerregime wurde. Wieder Opfer! Dieser Appell an den patriotischen Reflex der schwarz-blauen Regierung, die zuerst äußerst unpopulär war, gab die Möglichkeit, die Gunst der Massen zu erwerben.
Und er brachte alle oppositionell Gesinnten in Schwierigkeiten. Denn die Manifestationen des anderen Österreich, die in dieser Vehemenz niemand vermutet hätte (70.000 im November 1999 auf der Haider-Schlusskundgebung, 250.000 im Februar 2000 auf dem ominösen, vom einmarschierenden Hitler geschändeten Heldenplatz), verloren nicht nur an Schwung, weil der auch der härtest gesottene Oppositionelle nicht jeden Tag gegen die Regierung demonstrieren gehen mag (einige hielten es monatelang durch, zwischen 1.500 und 3.000 Leute tun es selbst im Sommer jeden Donnerstagabend).
Nein, die Sanktionen schufen ein Klima, in dem der patriotische Opferduft die Hirne so weit benebelte, dass auch die radikalsten Demonstranten sich die Hauptsorge des österreichischen Fremdenverkehrsverbands zu eigen machten: Wie steht es um das Bild Österreichs im Ausland? Dort will man nämlich nicht nur respektiert und gewürdigt, sondern auch geschätzt und geliebt werden. Dass im Endeffekt weder das eine noch das andere eintritt, hindert niemanden daran, diese Erfahrung stets aufs Neue zu machen. Waldheim, Haider, Schüssel?
Der Effekt der Sanktionen auf die protestierende Zivilgesellschaft war anfangs durchaus ermutigend (viele Leute, die einst gegen den Beitritt gestimmt hatten, waren nun froh über Österreichs EU-Mitgliedschaft). Dann aber siegte das österreichische Unverständnis dafür, wie weit die FPÖ „die symbolische Ordnung Europas verletzte“, wie das ein französischer Freund ausdrückte. Das Problem der verkorksten österreichischen Öffentlichkeit wurde wieder schlagend: Alle Schultern geschlossen, lautete das Kommando. Das Wort vom Vaterlandsverrat für abweichende Meinungen gewählter Mandatare wurde, von Haider selbstverständlich, in die Debatte geworfen.
So sehr die Einschätzung der so genannten Weisen zutrifft, dass sich die Regierung samt FPÖ unter dem Druck der Sanktionen zusammen- und zurückgenommen habe, so wenig berücksichtigt diese Einschätzung den lähmenden Druck, den der patriotische Populismus erzeugte. Die parlamentarische Opposition war zu schwach, um dagegenzuhalten. Die SPÖ war nach 30 Jahren Macht hohl und leer. Die Grünen agierten vorsichtig, weil sie hinter den Rockschößen des Professors Van der Bellen ihre fantastischen Umfragewerte (14 Prozent und mehr) nicht aufs Spiel setzen wollen; ganz katzenpfötig schleicht sich dank Popularitätsgewinnen Schüssels eine schwarz-grüne Variante in den Raum.
So blieb die Last des offenen Widerspruchs, der den Vorwurf des Unpatriotischen nicht scheute, auf der so genannten Zivilgesellschaft. Auch diese ermattete; immerhin kann sie sich an der gezeigten Präsenz erfrischen und daran, dass nun die bleierne Decke der antieuropäischen Einheitsfront weggezogen ist. Was dabei an europafeindlichen Ressentiments in Österreich selbst entstanden ist, und was die Regierung nicht nur in Kauf genommen, sondern selbst produziert hat, lässt sich aber noch nicht abschätzen.
Diese Woche schrieb der Herausgeber des polit-publizistischen Leitmediums Österreichs, der Kronenzeitung, in einem Kommentar: „Wenn man jetzt auch bei den 14 zu der Einsicht gekommen ist, diese Sanktionen seien zu beenden, weil ja auch die Bevölkerung in den 14 EU-Ländern immer stärker dagegen aufgetreten war, dann freuen wir uns darüber. Unsere Haltung gegenüber der EU hat sich jedoch geändert. Wir werden diesen Funktionären in Brüssel, die uns manchmal wie Maden im Speck vorkommen, künftig mehr auf die Finger schauen müssen.“ Solche drohende Rotzigkeit entbehrt nicht jener unfreiwilligen, pubertären Komik, die auch alle Haider-Ausrutscher kennzeichnet. Über die hausgemachten Ursachen und über solche selbst gemachten Folgen der Sanktionen können dennoch nur die wenigsten lachen.
Dass Österreich seine Rolle im Erweiterungsprozess der EU durch sein Verhalten endgültig verspielt hat, wird im Land selbst sowieso nicht als Problem angesehen. Hauptsache, Edmund Stoiber kommt auf Staatsbesuch. Und das tat er auch, als die Sanktionen noch in Kraft waren. ARMIN THURNHER
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