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Rechtsradikalismus als Folklore

In Polen sind Antisemitismus und Rechtsradikalimus salonfähig, weil mit ihnen weitgehend gleichgültig umgegangen wird. Jetzt tritt mit einem Hitler verehrenden Exgeneral auch noch ein Rechtsradikaler zu den Präsidentschaftswahlen an

aus Warschau GABRIELE LESSER

Mit dem Slogan „Ein starker Mann für schwere Zeiten“ will Ex-General Tadeusz Wilecki Präsident Polens werden. 1997 war der Hitlerfan als Stabschef der polnischen Armee aus dem aktiven Dienst entlassen worden, weil er keinen zivilen Verteidigungsminister mehr akzeptieren wollte. Jetzt meinte der 55-Jährige beim Wahlkampf im deutsch-polnischen Grenzgebiet: „Hitler hatte um sich Minister geschart, die gut und effektiv wirtschaften und verwalten konnten. Wenn man all das Schlechte weglässt, wurden damals für die Deutschen viele Sachen sehr positiv erledigt.“

Insbesondere Hitlers Wohnungsbaupogramm hat es Wilecki angetan. Zwar meinte er, dass die von der Gazeta Wyborzca zitierten Sätze „aus dem Zusammenhang gerissen seien“, doch sein Programm (www.wilecki.etna.pl) ist deutlich. Der Ex-General fordert ein „nationales Wohnungsbauprogramm“, das jeder polnischen Familie zwischen Bug und Oder eine eigene Wohnung verschaffen soll. Tausende von Arbeitslosen sollen künftig in Polen Straßen bauen, das „polnische Dorf“ solle ein „starkes Fundament der polnischen Staatlichkeit“ werden.

Wilecki, der sich „Gott, Ehre und Vaterland“ verpflichtet fühlt, wird von rechtsextremen Parteien unterstützt. Als Führer der „Front Polski“ ist er einer von 13 Präsidentschaftskandidaten, die 100.000 Unterschriften von Unterstützern gesammelt haben. Zwar hat er keine Chance, am 8. Oktober gegen den favorisierten Amtsinhaber Kwaśniewski zu gewinnen. Erklärtes Ziel der rechtsradikalen Parteien ist es, die Präsidentschaftswahlen als Plattform zur Werbung zu nutzen. Wilecki ist nicht der einzige Kandidat mit rechtsradikalen Sprüchen. Der Bauernführer Andrzej Lepper bekannte schon vor Jahren, dass er die richtige Medienpräsentation von Goebbels gelent habe. Der habe Hitler schließlich beigebracht, wie er zu stehen, zu gehen und zu reden habe. Der Kandidat Bogdan Pawlowski behauptet, 1980 seien die „Juden-Atheisten“ in die Kleider der Kirchenleute geschlüpft und hätten die Gewerkschaft Solidarność entmachtet, um sich am Volkseigentum zu bereichern. „Polen wacht auf“, fordert er.

Hinter diesen Gestalten stehen in Polen keine Massen. Doch warum führen bei jeder Präsidentschafts- und Parlamentswahl windige Geschäftemacher und politische Marodeure in Polen das Wort? Warum dürfen Antisemiten ungestraft ihr „politisches Programm“ öffentlich vorstellen, deren „historische Lektion“ dann darin besteht, dass die Juden den Polen ihre Entschädigung gestohlen hätten und die Deutschen daher den Polen immer noch 537 Milliarden Mark schuldeten. Im Wahlmaterial steht dann, das KZ Auschwitz sei dank Rockefeller entstanden und der „Jude“ Adolf Eichmann habe mit den Zionisten zusammengearbeitet, um die reiseunwillen Juden dazu zubringen, endlich nach Palästina auszuwandern.

Klagen muss Wilecki nicht befürchten. Und wenn doch, wird das Verfahren wahrscheinlich niedergeschlagen, weil die Straftat „gesellschaftlich nur von geringem Schaden“ sei. Mit dieser Formel werden in Polen fast alle Verfahren mit rechtsradikalem Hintergrund niedergeschlagen. Weder Polizei noch Staatanwaltschaft oder Justizministerium führen eine Statistik rechtsradikaler Straftaten. Zumindest wird sie nicht offen gelegt. In der Öffentlichkeit gelten Rechtsradikale eher als „gute Patrioten, die etwas übertreiben“, als Randgruppe eben, die man nicht weiter ernst nehmen muss.

Rafal Pankowski, Herausgeber der Zeitschrift Nigdy Wiecej (Niemals wieder), einer von Polens führenden Antifaschisten, analysiert die Verharmlosung und Tabuisierung des Rechtsradikalismus so: „Das größte Problem ist, dass ein großer Teil der polnischen Gesellschaft neofaschistische Organisationen toleriert. Fast niemand brandmarkt eindeutig das Denken der Skinheads. Im Gegenteil, in Polen ist Antisemitismus salonfähig und auch in höchsten politischen Kreisen anzutreffen.“

So ist es auch kein Wunder, dass antisemitische Schmierereien nicht übermalt werden. Kaum jemand stören die an den Galgen hängenden Davidsterne oder die „Jude raus“ oder „Neger nach Afrika“-Schmiereien. Nur ein einziges Mal, vor einigen Monaten in Lodz, gab es eine große „Toleranz-Aktion“. Ein alter Lodzer Jude hatte nach vielen Jahren seine Heimatstadt besucht und war entsetzt. Die Stadt strotzte von antisemitischen Schmiereien. Er schrieb einen offenen Brief an den Bürgermeister. Erst da fiel den Lodzern auf, dass an jeder dritten Hauswand ein „Jude raus“ prangte. Die Entschuldigung, dass sich hier Fußballfans gegenseitig ins Gas wünschten und das doch alles ganz harmlos sei, erschreckte den Gast aus Israel nur noch mehr.

Der 24-jährige Pankowski gründete bereits vor Jahren mit anderen Studenten die Gesellschaft „Nigdy Wiecej“. Alle drei Monate veröffentlicht sie eine Statistik von Anschlägen, Überfällen und Prügeleien der Neonazis. „Seit 1989 haben Rechtsradikale in Polen mindestens 20 Menschen ermordet“, so Pankowski zur taz. „Rechtsradikalismus in Polen ist nicht harmlos, nur weil die anderen Politiker ihn ‚Folklore‘ nennen.“

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