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Natürliche Folge der Unwahrscheinlichkeit

■ Der Hamburger SV wieder im Alltag der Fußball-Bundesliga: Bei der 2:3-Heimniederlage gegen Borussia Dortmund krochen einige vor Müdigkeit schon auf dem Zahnfleisch

Statistiker können recht genau erklären, warum der Hamburger SV nach seiner begeisternden Vorstellung am Mittwoch gegen Turin drei Tage später einbrechen musste. Die Wahrscheinlichkeit, dass zwei unwahrscheinliche Ereignisse aufeinander folgen, so die Zahlenjongleure, werde immer kleiner, je ext-remer die Ereignisse seien. Die 2:3-Niederlage gegen Borussia Dortmund als natürliche Folge des 4:4 gegen Juventus: Das ist eine schöne Erklärung, die beim HSV aber niemanden tröstet.

Nur sehr wenige Mannschaften schaffen es, über einen längeren Zeitraum auf hohem Niveau zu spielen. Die Hamburger gehören offensichtlich nicht dazu. „Wir waren heute müde, vor allem gedanklich“, sagte Trainer Frank Pagelsdorf nach dem Spiel. Bereits nach der zweiten englischen Woche scheinen die Reserven der Spieler aufgebraucht zu sein. Das ist mit Blick auf die kommenden Wochen bedenklich. Denn mindestens bis Anfang November steht für den Volksparkverein nahezu alle drei bis vier Tage ein Match an, abwechselnd in Bundesliga und Champions League. Da bleibt kaum Zeit zur Regeneration.

Das beste Beispiel für diesen Verschleiß war am Sonnabend Jung-Nationalspieler Ingo Hertzsch. In der ersten Hälfte wusste er mit seiner neuen Rolle – Pagelsdorf hatte ihn als Ersatz für den verletzten Bernd Hollerbach im linken Mittelfeld aufgestellt – nichts anzufangen. Darüber hinaus verschuldete der 23-Jährige alle drei Gegentreffer. Beim 1:0 spielte er dem Torschützen Otto Addo den Ball direkt vor die Füße, beim 2:2 schlug er den Ball nicht weg und das entscheidende 3:2 fiel durch einen Elfmeter, nachdem Hertzsch seinen Gegenspieler Giuseppe Reina mittels Zerren am Trikot zu Boden gerissen hatte. Übrigens an derselben Stelle, an der Sergej Barbarez gegen Turin den entscheidenden Strafstoß verursachte. Als Pagelsdorf auf der Pressekonferenz gefragt wurde, ob er bei solcher Dummheit nicht die Krätze bekäme, antwortete er mürrisch dreisilbig: „Ja. Genau.“

Aber noch etwas anderes wird bei dieser taktischen Ausrichtung klar: Wenn schon ein gelernter und routinierter Abwehrspieler ins Mittelfeld ausweichen muss, weil ein anderer Kicker ausfällt, ist die Mannschaft nicht ausgeglichen genug besetzt. Zwar kann die Stammelf in der europäischen Spitze möglicherweise mithalten. Das hat sie am Mittwoch bewiesen. Doch in der zweiten Reihe des 33-köpfigen Kaders sitzen kaum Spieler, die in Notfällen wenigstens annähernd so gute und vor allem konstante Leistung bringen.

Das macht sich auch in der Abwehr bemerkbar. In der vergangenen Saison noch der stabilste und zuverlässigste Mannschaftsteil, steht sie in dieser Spielzeit nicht mehr sicher. Andrej Panadic zeigt erhebliche Schwächen, die Libero Nico Hoogma nicht immer ausgleichen kann. Folgerichtig kassierte der HSV in den bisherigen Pflichtspielen bereits 14 Gegentore. Und Frank Pagelsdorf hält die Ersatzleute Benjamin Kruse und Andreas Kientz nicht für stark genug, um sie überhaupt nur auf den Spielberichtsbogen zu setzen.

Auf den Hamburger SV kommen harte Wochen zu. Am Dienstag (20.45 Uhr) müssen die Hanseaten in der Champions League beim spanischen Meister La Co-ruña antreten. Und anschließend, das verordnete Hoogma schon einmal vorab, brauche das Team „Pflege ohne Ende und viel Ruhe“.

Eberhard Spohd

HSV: Butt, Fukal (ab 46. Fischer), Hoogma, Panadic, Hertzsch, Kovac, Cardoso (75. Yeboah), Töfting, Mahdavikia (60. Präger), Barbarez, Ketelaer

BVB: Lehmann, Wörns, Metzelder, Heinrich, Dede, Evanilson, Oliseh, Addo, Stevic, Herrlich, Ricken (74. Reina)

Sr.: Heynemann – Z.: 46.700

Tore: 0:1 Addo (31.), 1:1 Barbarez (44.), 2:1 Barbarez (49.), 2:2 Herrlich (76.), 2:3 Herrlich (80., Elfmeter).

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