: Die Begutachtung der Gutachter
■ Bei der Suche nach externem Rat hat der Bremer Senat offenbar alles falsch gemacht, was falsch gemacht werden kann. Zu diesem Schluss kamen gestern auswärtige Experten, die über auswärtige Expreten urteilten
Man nehme: einige ratlose PolitikerInnen sowie eine Unternehmensberatung wie Roland Berger oder McKinsey und lasse sie auf die Kultureinrichtungen los. Das gibt eine Suppe mit ganz üblem Beigeschmack. So jedenfalls sehen es die in Kulturinitiativen organisierten Bremer KulturproduzentInnen wie etwa der Intendant des Bremer Theaters, Klaus Pierwoß. Und außerhalb Bremens gibt es namhafte Leute, die sehen es genauso: Die ehemalige Bochumer Kulturdezernentin Ute Canaris, der Intendant der Bamberger Symphoniker Mathias Weigmann und der Direktor des Deutschen Bühnenvereins Rolf Bolwin waren gestern eigens in die Hansestadt gereist, um auf Einladung der Hochschule Bremen wortreich über das Gutachterwesen den Kopf zu schütteln und zu zeigen, dass nach wie vor etwas faul ist in weiten Kreisen der deutschen Kulturpolitik. Was aber ist es?
„Die öffentliche Hand gibt 1,8 Billionen Mark im Jahr aus, davon gehen 15 Milliarden, also nicht mal ein Prozent an die Kultur“, weiß Bühnenvereinsdirektor Rolf Bolwin, der 212 Theater und 33 selbständige Orchester vertritt und in seinem Urteil am weitesten geht: „Es gibt ein Verteilungsproblem.“ Will sagen: Kommunen, Länder und Bund haben genug Geld, wollen aber weniger an die Kultur verteilen. Und das hat Folgen: „Die Politiker“, so Klaus Pierwoß, „machen die Finanzprobleme der öffentlichen Hand zu Finanzproblemen von Theatern und anderen Kultureinrichtungen“. Oft aus Entscheidungsnot ziehen sie Gutachter heran, und „Bremen hat sich für Gutachter zum Eldorado entwickelt“.
Mit seiner McKinsey-Vergangenheit und seiner Roland-Berger-Gegenwart scheint Bremen ein Musterbeispiel dafür zu sein, wie man es nach Angaben aller ReferentInnen – den Managementberater Peter Gartiser eingeschlossen – nicht machen soll. Ute Canaris, die externe Gutachten nicht von vornherein unter negativem Beigeschmack verstanden wissen will, gibt allen künftigen Auftraggebern von Gutachterfirmen gleich mehrere Ratschläge: Vor der Vergabe von Aufträgen an große Firmen unbedingt erst gucken, ob es nicht auch mit Bordmitteln geht. Und wenn doch externe GutachterInnen herangezogen werden, dann müssen sie ergebnisoffen und nicht zur Legitimation vorher gefasster Beschlüsse arbeiten können.
Vor allem setzt neben Ute Canaris auch Rolf Bolwin unbedingt voraus, dass die GutachterInnen mit den Begutachteten reden. Dann lassen sich plumpe Vergleiche ausschließen (McKinsey fand heraus, dass am Bremer Theater mehr KartenabreißerInnen arbeiten als am Mannheimer Theater. Der einfache Grund: Beide Häuser in Mannheim haben einen Eingang, die großen Häuser in Bremen zwei).
Auch einfache Empfehlungen würden sich dann an der Wirklichkeit messen lassen müssen. Die Umsetzung des Gutachterrats, die Chorpauschalen zu streichen, führt nach Rolf Bolwins Erfahrung nämlich oft dazu, dass der Chor plötzlich andere nicht vergütete Leistungen nicht mehr erbringt oder à la Dienst nach Vorschrift auf seinen verbrieften Rechten besteht. Hier treten aber Unterschiede zwischen Bolwin („Ich schließe mich Frau Canaris voll an“) und Frau Canaris selbst zu Tage: „Wenn man nicht den Mut hat, mit dem Personalrat um die Änderung einer Betriebsvereinbarung zu ringen, verliert man schnell das Vertrauen.“
Die Wirklichkeit ist komplex geworden, und nach Bolwin haben das PolitikerInnen durch eine Fülle von Gesetzen selbst zu verantworten. Nicht wenige Fachleute – so eben auch die ehemalige Kulturdezernentin Ute Canaris – fordern von PoltikerInnen jetzt Mut zur Entscheidung. Aber dafür, so scheint es, ist es manchmal besser, sich nicht allzu tief in das komplexe Geflecht zu verstricken. Doch auch dann ist schnell Vertrauen zu verspielen. Ein Dilemma!
Der Managementberater Peter Gartiser ist bei seinem ersten Statement nicht für das Komplexe und erregt beim Forum der Hochschule prompt Widerspruch. Er prognostiziert, dass bis zu 30 Prozent der Kultureinrichtungen die nächsten Jahre nicht überleben würden (Widerspruch Pierwoß: „Es ist ein Fehler, Bedrohungsszenarien für die Zukunft zu halten.“). Gartiser denkt laut darüber nach, den Stadttheaterbetrieb durch einen Tourneetheaterbetrieb zu ergänzen und empfiehlt dabei ausgerechnet die laut Bolwin 38 Millionen Mark teure „Faust“-Produktion von Peter Stein, die nach der Expo noch in Berlin zu sehen ist. Allein für 38 Millionen Mark lebt so manches Stadttheater ein ganzes Jahr lang und bringt wie das Bremer Theater über 20 Produktionen heraus. Ein anderer, nach Financial-Times-Net-Business-Handelsballt-Wirtschaftswoche klingender Rat Gartisers wird trotz einigen Geraunes durchaus verstanden: Die Kultureinrichtungen sollten sich analog zu Wirtschaftsunternehmen auf ihr Kerngeschäft konzentrieren, weil sie dafür zuständig sind, Begeisterung für Kunst zu wecken.
Museumsleute sprechen oft vom Vierklang „Sammeln, bewahren, erforschen, vermitteln.“ Gartiser hat drei Verben auf Lager: „Vermitteln, erklären und faszinieren.“
Die Begeisterung, die das neu eröffnete Universum gerade unter PolitikerInnen aller Bremer Bürgerschaftsfraktionen weckt, scheint ihm Recht zu geben und sollte Museumsleute nachdenklich machen. ck
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