: Waghalsige Visite
König Juan Carlos und Spaniens Regierungschef Aznar reisen mit Kanzler Schröder ins Baskenland. Ein Attentatsversuch der ETA fliegt auf
aus Hernani REINER WANDLER
Spaniens Regierungspräsident José María Aznar war sichtlich zufrieden: Eine Reise in die baskische Konfliktregion, an einem solchen Tag und dann auch noch in Bekleidung eines solch wichtigen Besuchers, dem deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder. Keine 24 Stunden bevor die beiden Regierungschefs nach einem zweitägigen deutsch-spanischen Gipfel in Segovia per Hubschrauber gen Norden flogen, gelang einer der wichtigsten Schläge gegen die bewaffneten Separatisten der ETA. Die französische Polizei setzte in Zusammenarbeit mit der spanischen Guardia Civil in Bidart, nahe der französisch-baskischen Stadt Bayonne, die Nummer eins der Truppe fest, die Spanien nach dem Ende des Waffenstillstandes in Atem hält. Der 44 Jahre alte Inaki Gracia Arregi, mit Decknamen Inaki de Renteria, hatte die Militärführung seit 1993 inne, nach dem sein die Vorgänger Francisco Mujika Garmendia „Pakito“ ein Jahr zuvor ebenfalls in Bidart festgenommen worden war.
Noch während die hohen Persönlichkeiten aus Politik und Kultur bei Bildhauer Eduardo Chillida im baskischen Hernani zu Mittag speisten, bereitete die Polizei ihre zweite groß angelegte Operation in den französisch-baskischen Orten Bayonne, Anglet und Sare vor. Dieses Mal gingen ihnen elf Menschen in die Fänge, darunter die sechs wichtigsten Verantwortlichen für den militärischen Apparat der ETA. Damit wurden in Frankreich seit Dezember 1999 insgesamt 22 mutmaßliche Etarras verhaftet. Hinzu kommen 20 Linksnationalisten, die vergangene Woche im spanischen Baskenland festgenommen worden waren. 18 von ihnen wurden in U-Haft gesteckt. Sie sollen aus der Legalität heraus die ETA gesteuert haben.
„Es gibt Gesten, die vergisst man nie“, bedankte sich Aznar in aller Öffentlichkeit bei Gerhard Schröder. Bis zuletzt hatte Madrid befürchtet, Berlin könne die Reise des Kanzler aus Sicherheitsgründen absagen. Bildhauer Chillida hatte Schröder eigens zur Eröffnung seines Lebenswerkes, eines Freilichtmuseums auf einer großen Lichtung in einem der malerischen baskischen Täler, eingeladen, um ihm dort das Werk vorzustellen, das schon bald den Platz vor dem Bundeskanzleramt in Berlin zieren wird.
Ein Treffen, das nicht nur auf Gegenliebe stieß. Vor der Polizeikette, die das Museumsgelände weiträumig abriegelte, versammelten sich 2.000 meist junge, männliche Demonstranten, die „Hoch lebe die ETA“ und „Unabhängigkeit“ skandierten. Auf den Transparenten standen Parolen gegen die „Besatzer“ Aznar und Juan Carlos I. Nur der deutsche Kanzler sei herzlich eingeladen, „um die wirklichen Zustände im Baskenland kennenzulernen“, erklärte einer der Verantwortlichen für den Marsch.
Doch die Sicherheitsverantwortlichen verließen sich darauf nicht. Sie hatten Anweisung, die Landstraßen zu meiden. Per Hubschrauber flogen die wichtigsten Gäste ein. Die schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich. Keinen halben Kilometer entfernt vom Museum fand die Polizei nur eineinhalb Stunden vor dem Eintreffen der hohen Gäste acht bestückte Granatwerfer mit einem Zeitzünder. Ob die Abschussvorrichtung aktiviert war, ist noch unklar. Der ETA war es gelungen, die Waffen unweit der Polizeikette zu deponieren, die das Gelände abriegelte. Hier kam nur durch, wer geladen oder akkreditiert war. Mit Ausnahmen: Die Journalisten der linksnationalistischen Presse mussten draußen bleiben. Ein Eklat wie auf dem EU-Gipfel in Lissabon sollte verhindert werden. Jugendliche bewarfen damals Aznar aus Solidarität mit der ETA auf einer Pressekonferenz mit Farbbeuteln.
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