: Deutsche Zimmer stürmen
■ Kanak-Literatur in der Werkstatt 3: AutorInnen stellen den Sammelband Morgen Land vor
Es scheint, als gebe es zur Zeit zwei Strömungen in der jungen deutschen Gegenwartsliteratur: die der sorglosen Pop-Literaten, die mit einem Glas Champagner in der Hand im Vorzimmer Parties feiern, und die der aufmüpfigen MigrantInnen-Kinder, die die dahinter liegenden Privatgemächer stürmen.
In der Anthologie Morgen Land: Neueste deutsche Literatur hat der Herausgeber Jamal Tuschick letzteren ein Forum geboten. Das Anliegen, mit dem die 26 Autoren und Autorinnen in deutsche Zimmer stürmen, ist höchst vielfältig. Vito Avantario beispielsweise schreibt in einer Weise, die von dem bekanntesten Vertreter dieser Strömung, Feridun Zaimoglu – ebenfalls Teil der AutorInnenschaft – „Kanak Sprak“ genannt wurde: „ je länger er Äder verklemmtalemanneÜ über kanakerherzen hetzt desto mehr wird uns in kanakistan klar daß nur herr hansemann und frau trudefrau an integrationsverstopfungen leiden ...“
Nicht alle Texte schlagen diesen Ton an. Andere, wie der von Maxim Biller, reflektieren in einem weitaus lakonischeren Ton die „unsägliche Blässe und Reizlosigkeit der von Deutschen geschriebenen Gegenwartsliteratur“. Er konstatiert: „Sie erzählen – mal besser, mal schlechter – von öden Parties und schönen Büchern, von langweiligen Universitätsstädten und aufregenden Popdekaden und tun dabei immer so, als würde das, was die Menschen in diesem Land heute machen und denken, absolut nichts damit zu tun haben, was sie hier vor fünfzig Jahren gemacht und gedacht haben ...“
Die Text-Sorten sind weit gestreut: Erzählungen, Berichte, Kurzgeschichten, Pop-Lyrik. Geschrieben sind sie von Hamburger Lokalgrößen wie Sarah Khan, Elena Lange und Mariola Brillowska als auch von andernorts ansässigen AutorInnen wie Raul Zelik, Silvia Szymanski, Franz Dobler oder Selim Özdogan. Allen gemeinsam ist eine nicht-deutsche Herkunft mindestens ihrer Eltern. Hier lässt sich der Herausgeber Tuschik auch kritisieren: Denn genau dies, Abstammung zum differenzierenden literarischen Kriterium zu erheben, steht in der hiesigen Tradition im Umgang mit nicht-deutschen AutorInnen, auch wenn sich der Schreibges-tus der AutorInnen geändert hat.
Davon abgesehen umfasst der Band – wie jede andere Anthologie – qualitativ gute und weniger gute Texte; in jedem Fall regen einige zum Weiterlesen an. Morgen Land wird heute auf einer vom Bildungswerk umdenken e.V. ausgerichteten Veranstaltung von Silvia Szymanski, Jamal Tuschik, Raul Zelik und Selim Özdogan in der Werkstatt 3 vorgestellt. Lisa Scheide
heute, 20 Uhr, Werkstatt 3
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