: Haften Kinder für die Eltern?
■ Jetzt soll das Bundesverfassungsgericht überprüfen, ob eine libanesische Familie in die Türkei ausgewiesen werden darf
Die Ausweisung der bremisch-libanesischen Familie El-Zein soll jetzt das Bundesverfassungsgericht beschäftigen. Dort hat der Bremer Anwalt Detlef Driever Verfassungsbeschwerde eingereicht – und zugleich einen Eilantrag, der verhindern soll, dass die neunköpfige Familie bereits am Dienstag abgeschoben wird. „Diese Abschiebung verletzt gleich mehrere Grundrechte“, erklärte der Anwalt. „Das Recht auf körperliche Unversehrtheit, die Menschenwürde und den staatlichen Schutz der Familie.“
So gehöre die Familie einer arabischsprachigen Minderheit an, die vor ihrer Auswanderung in den Libanon – „an der es keinen Zweifel gibt, beide Elternteile sind dort geboren und haben dort gelebt“ – hauptsächlich in der anatolischen Region um Mardin gewohnt habe. „Aber jetzt gibt es dort keine Verwandten, die weiterhelfen könnten.“ Für die Eltern, „Analphabeten“, seien die Berufsaussichten und damit die Sicherung des Exis-tenzminimums für die Familie mehr als schlecht. Da die bereits volljährigen Kinder der Eltern noch in Bremen leben, könnten sie den Eltern in der Türkei auch nicht helfen. Außerdem seien fünf der Kinder in Deutschland geboren, die jetzt in unerträgliche und völlig unsichere Verhältnisse ausgewiesen werden sollten – weil ihre Eltern in Deutschland ein Asylverfahren mit türkischen und libanesischen Papieren betrieben hatten. „Man muss hier fragen, wie lange haften Kinder eigentlich für die Eltern?“, fragte Driever.
In der Verfassungsbeschwerde formuliert er, „dass die Verwaltungsgerichte sich auch „mit den grundrechtsrelevanten Folgen einer Abschiebung für die Kinder und die gesamte Familie auseinandersetzen müssten, „selbst wenn sich die Eltern ... strafbar gemacht haben sollten“. Dies sei jedoch nicht geschehen. Vielmehr habe das Bremer Verwaltungsgericht „in formelhaften Ausführungen“ verwandschaftliche Beziehungen in der Türkei einfach als „nicht ausgeschlossen“ bezeichnet. Auch das Bremer Oberverwaltungsgericht – das wie zuvor das Verwaltungsgericht die Ausweisung der Familie ebenfalls als rechtens bewertet hatte – habe die drohenden Grundrechtsbeeinträchtigungen nicht ausreichend gewürdigt. Besonders skandalös empfinde er die behördliche Begründung dafür, die Familie ohne Aufschub schnellstmöglich abzuschieben: „Weil sie unrechtmäßig Sozialhilfe und Wohngeld beansprucht habe“, heißt es. Dies sei die Folge einer „verleugnerischen Kampagne“ der Bremer Innenbehörde, die nun Erfolge vorweisen müsse, so der Anwalt. Es dürfe nicht geschehen, dass derartige Erwägungen eine entscheidende Rolle spielten und in der Abwägung zum Rechtsschutz nicht berücksichtigt würden.
Mit einer Entscheidung der Verfassungsrichter darüber, ob sie die Klage annehmen und der Familie vorläufigen Bleibe-Schutz geben, rechnet der Anwalt in den nächsten Tagen. Zugleich kündigte er an, einen Asylfolgeantrag für die Familie stellen zu wollen. Auch bestätige ein psychiatrisches Gutachten, dass die Mutter der Kinder momentan suizidgefährdet – und damit nicht reisefähig – sei. ede
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen