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Unkontrollierte Macht

Der Bund will die „Deutschland AG“ zerschlagen. Doch die Macht der Banken ist ungebrochen – durch persönliche Verflechtungen und das Depotstimmrecht

Die rot-grüne Bundesregierung will die Finanzgiganten entmachten, die „Deutschland AG“ zerschlagen. Im Gegenzug gibt es für die Banken ein Milliardenpräsent, das sich in der Steuerreform verbirgt, die jetzt im Herbst endgültig verabschiedet wird. Konkret: Gewinne aus der Veräußerung von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften sind ab 2002 im Regelfall steuerfrei.

Rund 350 Milliarden Mark soll der Beteiligungsbesitz deutscher Unternehmen betragen. Hauptnutznießer des neuen Steuerprivilegs werden die Banken sein. Allein die Deutsche Bank verfügt u. a. über dicke Aktienpakete bei Allianz und Münchner Rück, bei Daimler, Holzmann, Linde und Continental. Im Geschäftsbericht werden allein die „wesentlichen“ börsennotierten Industriebeteiligungen auf 35 Milliarden Mark beziffert – legal gebunkerte Gewinne.

Die Regierung hofft, durch ihre maßlose Großzügigkeit die Deutschland AG zu entflechten. Neigt sich also die Macht der Banken nach 130 Jahren ihrem Ende zu? Nein. Stattdessen erleben wir eine Modernisierung. Die Entflechter in der Politik unterliegen einem ökonomischen Irrglauben: Die „harten“, mechanischen Industriebeteiligungen spielen für die Macht der Banken nur noch eine klitzekleine Nebenrolle, die hegemoniale Hauptrolle übernehmen die „Depotstimmrechte“ und die personellen Verflechtungen.

Depotstimmrechte sind pauschale Vollmachten, die Bankkunden ihren Kreditinstituten erteilen, um auf den Hauptversammlungen der Aktiengesellschaften für sie abzustimmen. Vor allem dank dieser Vollmachten liegt der Stimmrechtsanteil der Banken durchschnittlich bei über 80 Prozent. Mehr als die Hälfte dieses 80-prozentigen Stimmanteils vertreten die drei Großbanken, allein die Deutsche Bank repräsentiert oft eine Sperrminorität von 25 Prozent – nichts geht gegen ihren Willen! Das Modell greift übrigens zugleich auf den Bank-Hauptversammlungen. So vertritt der Deutsche-Bank-Vorstand im eigenen Haus traditionell die relative Mehrheit aller Stimmen.

Entsprechend den tatsächlichen Kräfteverhältnissen auf der Hauptversammlung wird der Aufsichtsrat besetzt. Meist ist er nur mit wenigen Bankiers bestückt – um die wahren Machtverhältnisse zu kaschieren –, dafür werden ansonsten vor allem industrielle Freunde aus verbundenen Unternehmen und Institutionen berufen. Der frisch gewählte Aufsichtsrat bestellt wiederum den Vorstand, der schon wissen wird, wem er Wohlgefallen schuldet. Wie weit die personelle Verflechtung der Banken reicht, zeigt beispielhaft der Beirat der Deutschen Bank. Über 700 Mitglieder sind in einer internen Broschüre verzeichnet. Es sind nicht allein die Topmanager nahezu ganzer Branchen, wie die Autobauer oder Versicherer. In den Deutsche-Bank-Beiräten tagen auch langjährige Finanzminister oder der frühere CDU-Schatzmeister Walther Leisler Kiep. Und im Hamburger Beirat der Bank versammelt sich die Medienprominenz: ob von Gruner + Jahr, Axel Springer, Spiegel-Verlag oder ZDF.

Der Kreislauf der Bankenmacht zeigt sich jedoch nicht nur bei der Besetzung der Vorstände oder Aufsichtsräte aller wichtigen deutschen Unternehmen. Er wirkt auch fort in den bankrelevanten Geschäften der Konzerne. So etwa bei der Ausgabe neuer Aktien. Die führenden Depotbanken verkaufen dann die jungen Aktien an ihren alten Kundenstamm, wodurch die Provisionen sowie der Verbleib der neuen Depotstimmen gesichert sind. So erneuern sich die bisherigen Mehrheitsverhältnisse – nur auf breiterer Kapitalbasis.

Auch wenn Börsenboom und Liberalisierung den deutschen Finanzmarkt für internationale Anleger geöffnet haben: „Kooperation statt Konkurrenz“ lautet unverändert das wettbewerbsfeindliche Motto. In London, New York oder Paris wird daher weiterhin geklagt, dass die Industriebeziehungen der hiesigen Großbanken zu eng seien, ihre Macht in Ökonomie und Gesellschaft zu gewaltig sei. Und in der Tat wuchs die Bilanzsumme der Deutschen Bank in nur einem Jahrzehnt von 400 auf heute mehr als 1.800 Milliarden Mark rasant an. Als ein Apfel-Erdnuss-Vergleich: Bundeskanzler Schröder regiert über einen Haushalt von weniger als 500 Milliarden Mark.

Das Berliner Steuergeschenk wird also nichts an den Machtverhältnissen ändern – sinnlos ist es aber auch aus einem weiteren Grund: Die eigentlichen Empfänger, die Banken und Versicherungen, wollen sowieso seit langem verkaufen! Die in der Ära des Wirtschaftswunders angehäuften Milliardenbeteiligungen sind heute machtpolitisch nicht mehr notwendig und wirtschaftlich totes Kapital. Folglich wurde schon seit Mitte der Neunziger mit dem Ausverkauf vorsichtig begonnen. So verscherbelte die Deutsche Bank Ende Oktober eine Allianz-Beteiligung in Höhe von 2 Prozent (und hält jetzt laut Aufsichtsamt noch 9,31 Prozent).

Die Bundesregierung wäre daher gut beraten, wenn sie das heikle Milliardengeschenk im kommenden Herbstsemester streichen würde. Wenigstens sollte sie das Heben der stillen Reserven mit einer angemessenen Steuer belegen.

Noch wichtiger: Sie muss endlich ein echtes Antiverflechtungsprogramm entwickeln, um die Großbanken zu entmachten. In Ansätzen hat dies die grüne Bundestagsabgeordnete Margareta Wolf kürzlich vorgeschlagen. Und auch der Staatsminister beim Bundeskanzler, Hans Martin Bury (SPD), hat noch 1996 in seinem Buch „Das Bankenkartell“ die untaugliche Verflechtung von Geld, Macht und Politik beklagt. Davon ist jetzt – in Regierungswürden – leider nichts mehr zu hören.

Ein Antiverflechtungsprogramm stößt freilich auf Schwierigkeiten im realen politischen Leben und muss mit Umsicht gestaltet werden. So würde eine ersatzlose Abschaffung des Depotstimmrechts nicht weiterhelfen. Die kleinen Aktionäre wären überhaupt nicht mehr vertreten, noch nicht einmal gesammelt über ihre Hausbank. Ergebnis: Die großen „alten Vermögen“ der Flicks, Krupps und Ottos würden wieder an die Macht gespült – sie könnten mit einer Minderheit der Stimmen dennoch die Hauptversammlungen majorisieren. Das Stimmverbot für Banken müsste daher ergänzt werden durch die Schaffung neuer öffentlich-rechtlicher Vertretungsvereine für private und institutionelle Anleger. (Übrigens sollten auch der DGB und seine Einzelgewerkschaften endlich eine eigene Vertretungsorganisation gründen, um die Chancen des Aktienrechts auch für Arbeiter und Angestellte radikal auszubeuten.)

Doch muss nicht nur bei der Vertretung der Stimmrechte angesetzt werden. Auch die indirekten Verflechtungen über die Mitglieder der Bankenbeiräte und -aufsichtsräte gehören in die Mottenkiste des Kapitalismus. Zudem muss die von Kanzler Schröder angekündigte Reform der Mitbestimmung die schlappen Arbeitnehmer-Aufsichtsräte endlich fit machen für einen fairen Klassenkampf im Kontrollorgan.

HERMANNUS PFEIFFER

Hinweise:Die Stimmrechte der Banken betragen bei den Aktiengesellschaften meist mehr als 80 ProzentDie Bundesregierung muss endlich ein echtes Antiverflechtungsprogramm entwickeln

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