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Traditionslose Esstradition

USA drohen Japan wegen der angekündigten Jagd auf Großwale mit Handelssanktionen

aus Tokio ANDRÉ KUNZ

Kein ausländischer Journalist kann es sich derzeit in Tokio leisten, den Gang ins „Kujiraya“, das politisch unkorrekteste Restaurant Japans, zu unterlassen. Dort, in der „Gaststätte zum Wal“, werden nämlich ausnahmslos Walfisch-Spezialitäten angeboten. Geschäftsführer Kiyohiko Tanahashi versteht nicht, dass die Journalisten – anstatt die Delikatessen zu probieren – nur die Speisekarte kopieren wollen. „Dürft wohl nicht mitessen, weils für Europäer politisch unkorrekt ist“, spöttelt Tanahashi.

Das „Kujiraya“ und viele andere Tokioter Restaurants, die Walfisch-Spezialitäten anbieten, sind Abend für Abend bis zum letzten Platz ausgebucht, während Umweltschützer in Europa vor japanischen Botschaften protestieren, den Stopp des japanischen Walfangs für wissenschaftliche Zwecke fordern. Die Regierung in Tokio und die kleine Walfangflotte haben den Zorn der Umweltverbände auf sich gezogen, weil sie erstmals seit zehn Jahren nicht nur Zwergwale, sondern auch Pott- und Brydewale jagen. Zwei Arten von Großwalen also, die als bedrohte gelten.

Die Entscheidung der japanischen Regierung, dieses Jahr die Jagd auf Großwale wieder zu eröffnen, brachte selbst die USA so in Rage, dass letzte Woche US-Delegierte eine Umweltkonferenz in Kyushu boykottierten und Handelssanktionen androhten. Die internationalen Proteste versteht in Tokio niemand, weil die Japaner mit der geplanten Jagd „zu Forschungszwecken“, das Walfangabkommen dem Buchstaben nach nicht verletzen.

Joji Morishita von der Fischereibehörde in Tokio argumentiert , dass sich jedes Jahr 100.000 Pott- und 22.000 Brydewale den japanischen Fischgründen näherten. Ihr Einfluss auf die Fischbestände in Japans Gewässern müsse untersucht werden. Was japanische Fischer besorgt, sind die „Fressgewohnheiten“ der Großwale, die gemäß Morishita die Existenz einheimischer Fischer gefährden. Ein Pottwal verschlinge 20-mal mehr als ein Zwergwal, sagt Morishita.

Greenpeace Japan argumentiert dagegen, dass der „Walfang für Forschungszwecke“ nur ein Vorwand für überkommene „Essgewohnheiten“ der Japaner ist. Die Regierung und die japanische Walfang-Vereinigung beteuern schon seit Jahren, dass dieses Gewohnheit japanische Tradition ist. Ein Blick in die kulinarische Geschichte des Landes zeigt aber, dass Walfleisch bis in die Mitte dieses Jahrhunderts nur in einigen abgelegenen Fischerdörfern gegessen wurde. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg und vor allem in den 50er- und 60er-Jahren riet die Regierung der verarmten Bevölkerung zum Verzehr von Walfleisch als Proteinlieferanten. In dieser Zeit wurde Walfleisch auch in den Speisezettel für die offizielle Schulverpflegung aufgenommen. So verzehrten die Japaner im Rekordjahr 1962 mehr als 220.000 Tonnen Walfleisch.

Was vor vierzig Jahren jedes Kind zwangsläufig vorgesetzt bekam, ist seit dem Walfangmoratorium von 1986 zu einer raren Delikatesse geworden. Heute werden pro Jahr noch 2.000 bis 3.000 Tonnen Walfleisch verzehrt. Dafür fängt die japanische Walfangflotte jährlich bislang rund 400 Zwergwale.

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