: Kampf mit den Vorurteilen
Der Vorsitzende der Romani-Union, Rajko Djuric, kam 1991 aus Belgrad nach Berlin
Rajko Djuric ist es gewohnt, gegen Vorurteile anzukämpfen. Djuric ist Doktor der Philosophie. „Wissen Sie, wie oft ich schon gefragt wurde, wie ein Zigeuner promovieren kann? Zigeuner sind dreckig und klauen, das ist es doch, was die Leute denken, oder?“
Djuric ist Vorsitzender der Romani-Union. Seit 1995 tritt der Verein in Berlin für die Rechte der Roma ein. Die allermeisten der geschätzten 16.000 Roma in der Stadt sind Flüchtlinge, die ebensowenig wie alle anderen Flüchtlinge aus Bosnien und dem Kosovo Aussicht auf Asyl haben. Entweder sie hangeln sich von einer Duldung zur nächsten oder sie sind längst in die Illegalität abgetaucht. Kaum jemand ist so gut ausgebildet wie Djuric, viele können kaum lesen und schreiben, haben keine abgeschlossene Schulausbildung.
Auch im Kosovo sind die Roma immer noch ebenso unerwünscht wie im übrigen Jugoslawien. 850.000 Roma lebten im einstigen Jugoslawien, heute sind es unter 100.000. Zu Tausenden wurden sie vertrieben, deportiert, interniert oder ermordet. Als 1999 der Krieg im Kosovo ausbrach, wiederholte sich die Geschichte: Als angeblich „proserbisch“ fielen zahllose Roma den Kosovaren zum Opfer.
Djuric lebte bis 1991 in Belgrad. Zwei Tage nachdem er im Fernsehen Slobodan Milošević als „Faschisten“ tituliert hatte, wurde seine Wohnung aufgebrochen und die Einrichtung demoliert. Er flüchtete nach Berlin, wohin ihn die Gesellschaft für neue Literatur zu einer Lesung eingeladen hatte. Aufgrund guter Kontakte zum deutschen Botschafter in Belgrad, der sich persönlich für ihn einsetzte, wurde er als Asylbewerber anerkannt.
Jetzt lebt er im Land seiner ehemaligen Verfolger. Ein großer Teil seiner Familie wurde von deutschen Nationalsozialisten umgebracht. „Es ist seltsam“, sagt er, „aber erst seit ich in Berlin bin, habe ich begonnen, mich mit der Verfolgungsgeschichte der Roma im Dritten Reich zu beschäftigen.“ Die Romani-Union kämpft um ein Mahnmal für Sinti und Roma sowie den Ausbau der Forschung über die Verfolgung der Roma. Denn auch die eigene Aufarbeitung beschränkt sich immer noch vor allem auf überlieferte Erzählungen – ganz zu schweigen von den Wissenslücken der Deutschen.
So weiß bis heute auch in Berlin noch kaum jemand, dass in Marzahn bereits 1936 das erste Sammellager für Roma eingerichtet wurde. Entscheidend für die Auswahl des Standortes dürfte wohl die größtmögliche Distanz nach Charlottenburg gewesen sein: Pünktlich zu den Olympischen Spielen, so wollte es der Führer, sollte die Reichshauptstadt „zigeunerfrei“ sein. Der Weg von Marzahn führte später für fast alle direkt ins Konzentrationslager. Insgesamt wird geschätzt, dass im Dritten Reich 500.000 Sinti und Roma ermordet wurden. JEANNETTE GODDAR
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