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Wo Wölfe Hasen fressen

Zehn Jahre nach der Wiedervereinigung zieht das Antidiskriminierungsbüro in der Ausstellung „Grenzenlos Rechtlos“ Bilanz. Eine kritische Betrachtung des Umgangs mit Minderheiten

von KIRSTEN KÜPPERS

Vom Fernsehapparat in der Ecke dröhnt immer und immer wieder eine übersteuerte Melodie. Sie kommt aus dem Video „Hase und Wolf“, einem Acht-Minuten-Film, gedreht in einem Flüchtlingswohnheim in Nürnberg. Ein iranischer Mann ist darin zu sehen, der die Melodie auf einer elektronischen Orgel spielt. Bis auf das Instrument, einen Heizkörper und einen leeren Kühlschrank ist das Zimmer im Film kahl. Der Bewohner von Zimmer 402 ist am Vortag abgeschoben worden. Das Lied ist also eine Art Abschiedslied. Auch sonst ist das Video traurig. Ein iranischer Junge im Heim spielt mit seinem Stoffhasen und erzählt viel von den „Wölfen in Deutschland, die Hasen fressen“. Es folgen wieder die bohrenden Orgeltöne, – schrauben sich als störender Refrain ins Gedächtnis.

Der kleine Film läuft in einer Endlosschleife zur übrigen Ausstellung. Unter der Überschrift „Grenzenlos Rechtlos“ blickt hier der Verein „Antidiskriminierungsbüro Berlin e. V.“ auf zehn Jahre Diskriminierung in Deutschland zurück. Eine nüchterne Bilanz ist das. Abzulesen von hohen Schautafeln in einem ansonsten schmucklosen Raum im Haus der Demokratie und Menschenrechte: Von 1990 bis 2000 wurden 136 Menschen nichtdeutscher Herkunft von Rechtsradikalen in Deutschland ermordet, hat der Verein gezählt. Nicht statistisch erfasst sind tägliche Übergriffe und Pöbeleien.

Zum zehnten Jahrestag der deutschen Einheit will das Antidiskriminierungsbüro, das sich seit 1995 mit der Situation von Flüchtlingen und Migranten in Deutschland beschäftigt, nicht in versöhnliches Humtata einstimmen. Stattdessen sollen die Feierlichkeiten um „eine kritische Betrachtung des gesamtdeutschen Umgangs mit Minderheiten bereichert“ werden, sagen die Ausstellungsmacher.

Gegenüber dem tönenden Videorekorder haben sie dafür auch eine Chronologie aufgestellt: Brandanschläge auf China-Restaurants, türkische Imbisse und Asylbewerberheime, Molotowcocktails auf von Ausländern besuchte Diskotheken, Hakenkreuze auf jüdischen Ehrenmalen. Die Ereignisse von nur neun Monaten des Jahres 1992 hat der Verein aufgeschrieben. Dann waren schon zwei große Schautafeln voll. Daneben hängt das inzwischen berühmt gewordene Foto eines Mannes aus Rostock-Lichtenhagen, der später auf die Frage, warum seiner Meinung nach „Ausländer raus“ müssten, antwortete: „Weil sie sich nicht zu benehmen wissen.“ Auf dem Foto hat der Mann eine nassgepinkelte Jogginghose an und hebt den Arm zum Hitlergruß.

Auch ein Bild von Antonio Amadeu fehlt in der Ausstellung nicht. Er wurde in Eberswalde von Skinheads misshandelt und war das erste Todesopfer rassistisch motivierter Gewalt nach der Wiedervereinigung. Demgegenüber wirkt der Bestellschein für einen Asylbewerberheim-Container gerade in seiner Funktionalität brutal. Genauso wie die Aussage des ehemaligen Asylrichters und langjährigen CSU-Mitglieds Manfred Ritter, der Flüchtlinge mit einen „Heuschreckenschwarm“ verglich, „der überall, wo er durchzieht, eine Wüste hinterlässt“. Die 3-Tages-Ration Bananensaft und Knäckebrot eines Asylbewebers liegen geradezu anklagend auf einem Tisch im Ausstellungsraum.

Die dokumentarische Arbeit des Antidiskriminierungsbüros ist ehrenwert. Allerdings dürfte den Menschen, die gewöhnlich in solche Ausstellungen gehen, eine derartige Sammlung nicht fremd sein. Die Fülle der Zeitungsausschnitte deprimiert trotzdem. Aktuell bleibt die Ausstellung auch in ihrer Rückschau. An Argumente der derzeitigen Rechtsextremismus-Debatte erinnert besonders die Notiz von 1992: „Japanische Geschäftsleute befürchten in Ostdeutschland mit Asylbewerbern verwechselt zu werden. Mitarbeiter von Berliner Vertretungen werden belehrt, wie sie sich kleiden und wo sie sich aufhalten sollen.“

Zum Nachahmen mit nach Hause nehmen soll man sich wohl das in der Ausstellung vorgestellte Hobby von Irmela Schramm. Als eine Art Heldin des Alltags beseitigt sie seit 15 Jahren rechtsradikale Graffiti. Vorher macht sie Fotos von den „Schlesien bleibt Deutsch“-Sprüchen. Auch Aufkleber mit Aufschrift „Ich bin dumm, faul, hässlich – darum gehe ich zur Antifa“, rubbelt sie ab. Stehen lässt sie nur friedliche Sätze wie „Pflaumenmus statt Faschismus“.

„Grenzenlos Rechtlos“, Ausstellung zu zehn Jahren Diskriminierung in Deutschland. Bis zum 3. Oktober 2000, täglich geöffnet von 13 bis 19 Uhr. Haus der Demokratie und Menschenrechte, Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin

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