Jede dritte Frau ist Opfer

Die UN zieht in ihrem Weltbevölkerungsbericht 2000 eine düstere Bilanz über die Lage der Frauen, die weltweit immer noch von Diskriminierung, Gewalt und Benachteiligung geprägt ist

BERLIN taz ■ Jede dritte Frau wird in ihrem Leben mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt. Eine von vier Frauen wird während der Schwangerschaft missbraucht. Jährlich 80 Millionen Schwangerschaften sind ungewollt. 20 Millionen der jährlich etwa 50 Millionen Abtreibungen geschehen unter gesundheitsgefährdenden Bedingungen. Vier Millionen Frauen und Mädchen werden jedes Jahr in die Ehe, in Prostitution oder Sklaverei verkauft. Rund 5.000 Frauen jährlich werden von Männern ermordet, die damit ihre vermeintlich verletzte Ehre wiederherstellen wollen. Von weltweit 880 Millionen Analphabeten sind rund zwei Drittel Frauen. Und zu viele Mädchen und Frauen haben nur schweren oder gar keinen Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung. In Afrika, dem am schwersten betroffenen Kontinent, tragen zwei Millionen mehr Frauen als Männer den HI-Virus in sich. Diese ernüchternde Bilanz veröffentlichten die Vereinten Nationen (UN) gestern in ihrem Weltbevölkerungsbericht 2000.

Fünf Jahre nach der Weltkonferenz der Frauen 1995 in Peking und sechs Jahre nach der Weltbevölkerungskonferenz 1994 in Kairo bestimmen Diskriminierung und Gewalt das Leben von Millionen Frauen. Und die erhebliche Benachteiligung von Frauen behindert nicht nur diese selbst, sondern in beachtlichem Ausmaß auch die Entwicklung von Familien, Ländern und Gesellschaften. Zum ersten Mal, sagte Familienministerin Christine Bergmann (SPD), präsentiere sich der jährliche UN-Bericht geschlechterbezogen. Und mache dabei deutlich, dass in den meisten Bereichen des Lebens noch erhebliche weibliche Benachteiligung besteht. Die Folgewirkungen kämen die Staaten teurer zu stehen als die Beseitigung der Ungleichstellung von Frauen und Männern. Dieses zentrale Argument des Berichts sei von besonderem Gewicht, denn „manche überzeugt ja die Kostenfrage mehr als die Rechtsfrage“, sagte die Ministerin.

An diesen Punkt knüpfte Hans Fleisch, Geschäftsführer der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung, seine Forderungen. Mangelnde Bildung und fehlende Unterstützung in der Familienplanung treffe in erster Linie Frauen. Als eine Folge fehlenden Wissens bei Gesundheit und Verhütung sind etwa fünf- bis sechsmal so viele Mädchen wie Jungen der Altersklasse 15 bis 19 Jahre HIV-infiziert, vor allem durch ungeschützten Geschlechtsverkehr mit älteren, infizierten Männern. Doch gerade in der Finanzierung des Bereichs Familienplanung klaffe eine Lücke, die immer größer werde, sagte Fleisch. Mit dem weltweiten Anstieg der Zahl der Menschen im gebär- und zeugungsfähigen Alter wachse der Bedarf an Bildung. Die Finanzierungslücke in diesem Bereich werde immer größer. „Die Industrienationen müssen endlich ihren Verpflichtungen nachkommen“, sagte Fleisch und verwies auf die schleppende Zahlungsmoral der Länder, trotz fester Zusagen. Von den 5,7 Milliarden US-Dollar jährlich, mit denen sich die Industrieländer an der Umsetzung des Aktionsprogramms von Kairo 1994 beteiligen wollten, werden bislang nur 2,1 Milliarden US-Dollar pro Jahr aufgebracht. Die Diskriminierung von Frauen zeige sich auch daran, wie bei der Verwendung öffentlicher Gelder die Prioritäten gesetzt würden, sagte Fleisch. Das erinnerte Ministerin Bergmann daran, dass „auch bei uns das Gleichstellungsparadies noch nicht erreicht“ ist. KATHRIN STEINBICHLER

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