: Keine Angst vorm Idealismus
Träumer bevölkern Moritz Rinkes Auftragswerk für das Thalia. Ein Porträt ■ Von Petra Schellen
Man sollte es nicht für möglich halten: Dieser Mensch bevorzugt doch tatsächlich die Taube auf dem Dach. Bläst eine Feder in den Wind und hofft, dass sie von alleine fliegt. Dabei steht er mit beiden Beinen im Leben, der 33-jährige Dramatiker Moritz Rinke, hat Medienwissenschaften studiert, Kolumnen geschrieben und in Berlin als Redakteur gearbeitet. „Aber nach drei Monaten wurde mir das langweilig“, sagt er.
Dacht's, kündigte und schrieb Der graue Engel, ein Stück über alternde Diven, das bei den hannoverschen Autorentheatertagen entdeckt und in Zürich uraufgeführt wurde; es folgte Der Mann, der noch keiner Frau Blöße entdeckte, für den Rinke den Liechtensteiner Dramatikerpreis bekam. Weltverbesserer und Engel bevölkern seine Stücke; Träumer gibt's auch in der Republik Vineta, einem Auftragswerk, das Rinke fürs Thalia-Theater schrieb, wo es jetzt uraufgeführt wird.
Im bottnischen Meerbusen soll das sagenumwobene Vineta gelegen haben, untergegangen im 9. Jahrhundert aufgrund der Geldgier der Bewohner. Dort also soll das neue Utopia entstehen, das in Republik Vineta sieben Männer planen. Nur, dass der Planungsgruppe irgendwann brutal der Boden entzogen wird. Und doch erwachsen gerade aus der totalen Verzweiflung ungeheure Energien, deren Exis-tenz man nicht für möglich gehalten hätte. Aber es ist zu spät, aus das Spiel – und doch „glimmt Hoffnung auf“, betont Rinke, „kann man sich einen Moment lang erträumen, was wäre, wenn sie jetzt nochmal eine Chance hätten, der Unternehmensberater, der Bauingenieur, der Kapitän, der Architekt und der Arbeitsvermittler ...“
Ob er selbst an die Lernfähigkeit des Menschen glaubt, sagt Rinke nicht. Vielleicht hat er die Frage nicht gehört, vielleicht will er auch nicht, „denn Utopien sind letztlich am stärksten im Planungsstadium“, sagt er. „Am liebsten würde ich selbst in einer Konzeptgruppe mitwirken, die eine neue Welt entwirft.“
Planen, entwerfen, arbeiten ist also wichtigstes Thema, scheint es – sowohl für Rinke als auch für die Vineta-Figuren, und das Ankommen verschwimmt darüber fast völlig. „Mir wird oft der Vorwurf gemacht, etwas einzuklagen, das nicht lebbar ist“, erzählt er; als Romantiker sei er bezeichnet worden, und er findet es selbst „überraschend, dass ich mich durchsetzen konnte“.
Aber um eben jenes Quäntchen Beschwörung, um das Ausbrechen aus dem Diktat des Pragmatismus, der horizonterweiterndes Denken systematisch abtrainiert, geht es Rinke. Auf schnelle Resultate ist er dabei nicht angewiesen: „Ich stelle mir vor, dass ich am Strand entlanggehe und in den Sonnenuntergang gucke, von ihm den letzten Streifen Rot mitbekomme. Ich möchte ihn nicht runterholen – aber ich brauche ihn, um hochzugucken. Um zu sehen, wo ich hin will.“
Weg aus der Arbeitssucht zum Beispiel, die auch Rinke – aber das erwähnt er nur im Nebensatz – ergriffen hat, weg vom über Arbeit definierten Leben, dem sich die Vineta-Planer anheimgegeben haben. „Denn die Leute werden beziehungsunfähig darüber, werden süchtig, mit den ersten Erfolgen fängt es schleichend an. Und auch der Kulturbetrieb produziert immer mehr Erfolgsgeschichten: Viele zeitgenössische Theatermacher finden es wichtig, möglichst viel Sex und Crime auf die Bühne zu bringen“, ereifert sich Rinke, aber so richtig entsetzt ist er nicht. Eher wirkt er wie einer, der mit einem lachenden und einem weinenden Auge diese wunderliche Welt betrachtet. Ein trauriger Clown? „Vielleicht; dieses Schweben zwischen Trauer und Komik, zwischen Melancholie und Hoffnung ist es jedenfalls, wovon meine Stücke leben“, sinniert er. „Darin liegt aber auch ein bisschen mein Schmerz: Ich versuche all meine Figuren zu mögen und alle zu verstehen“ – eine „Selbstverständlichkeit für Autoren“, die Rinke so stark betont, als müsste er sich selbst immer wieder davon überzeugen, dass er den Träumer in Republik Vineta auch wirklich nicht dem kantigen Unternehmensberater vorzieht.
Premiere: Sonnabend, 20 Uhr, Thalia-Theater
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