: Ccccc wie Cäsar
■ Die Shakespeare Company eröffnet die Theatersaison mit dem Politdrama „Julius Cäsar“. Ensemble und Regie spielen dabei drei Stunden lang auf Unentschieden
Wissenschaft, meint der FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher, ist viel spannender als Kino oder Theater. Deshalb entsorgt der Feuilletonchef der „Zeitung für Deutschland“ Kritiken, Rezensionen und Besprechungen, die man nicht alle gelesen haben muss, im hinteren Teil seiner Kulturseiten und macht auf den vorderen Seiten Platz für Betrachtungen aus der Welt der Mikro- und Biotechnologie, die man auch nicht unbedingt alle gelesen haben muss. Politik, meint offenbar die Bremer Shakespeare Company, ist wiederum viel spannender als Wissenschaft. Deshalb haben die jungen Leute im Ensemble jetzt Shakespeares vordergründig politischstes Drama „Julius Cäsar“ im vorderen und hinteren Teil des Theaters am Leibnizplatz eingerichtet.
Der Macht-an-sich-Reißer und möglicherweise erste Völkermörder der Weltgeschichte, Gaius Julius Cäsar, ist im Theater am Leibnizplatz eine sie und außerdem Rollstuhlfahrerin. Wutschnaubend quält sich die neue Company-Schauspielerin Margarita Fernández Molina als Cäsar eine Rampe hinauf. Verhärmt wie Wolfgang Schäuble in den Monaten lange vor seinem Rücktritt, aber zugleich hasserfüllter und selbstherrlicher gibt Molina einen Herrschertypus, der schon am Ende ist, bevor ihm die Kollegen Senatoren im berühmten Messerattentat oder Tyrannenmord von 44 vor Christus tatsächlich das Licht ausblasen. Doch was hier als Schauspielertheater beginnt, entledigt sich schnell jeder Ähnlichkeit mit lebenden Personen. Die Shakespeare Company verzichtet unter der Regie des 30-jährigen Sebastian Kautz auf allzu augenfällige Parallelen zur Jetztzeit.
Auf der leeren, durch eine Treppe und eine Rampe mit dem Rang verbundenen Riesenbühne ist das Politdrama eine Frauensache. Mit Ausnahme der Besetzung des zwielichtigen Cäsar-Vertrauten Markus Antonius durch Christian Aumer schlüpfen Schauspielerinnen in die Rollen der Cäsar-Mörder und -Rächer mit Namen Brutus, Cassius und Oktavian. Der Besetzungstrick verstellt nichts, erhellt aber auch nichts, was der Rede wert wäre. So macht Molinas Cäsar einen fingertrommelnd unwirschen Eindruck, Sylvia Kühns Cassius ist ein rüpelhaftes, manchmal wild herumturnendes und -brüllendes Wesen, der wankelnde Brutus der Uta Krause kommt mit Nickelbrille und „Der arme Poet“-Mützchen als intellektuelles Oxford-Jüngelchen daher und Aumers Mark Anton gibt den dauertrunkenen Vorstadtgigolo.
Sebastian Kautz und Co. stellen eine Typenshow auf die Bühne und können sich – wie formulier' ich's neutral? – in drei Stunden Spieldauer nicht entscheiden zwischen einer Inszenierung vom Blatt (der Neuübersetzung von Rainer Iwersen) und einer Zertrümmerung der Vorlage.
Konsequent geht allein der Komponist und Pianist Mark Scheibe alias Markus Scheibus zur Sache. Neuen Bossen widmet der freche Spaßvogel Bossanovas, Cäsars Auftritte umspielt er mit der Tonart C wie Cäsar und ein Roy-Orbison-Zitat entlockt er seiner Hammond-Orgel als kühne Metapher für das Royale an sich. Wären die anderen Aktiven auch so unschuldig frech, dann hätte es ein amüsanter Abend werden können. Doch Kautz und Co. sind nicht frech, sie sind allenfalls unbedarft.
Mit einem Rap und anderen Zitaten aus der HipHop-Kultur kommen die vom Regisseur schon vorab angekündigten Aktualisierungen zunächst noch zaghaft daher und erschöpfen sich in willkürlichen Slapstickmätzchen, Girlie- und Rapper-Attitüden. Denn vor allem in den zweieinhalb Akten vor der Pause serviert die Company mit voller Wucht und bisweilen Pathos ein wortreiches Cäsarendrama, bei dem fortwährend die Gretchenfrage offen bleibt, warum diese Geschichte eigentlich in aller Ausführlichkeit erzählt wird.
Tja, da war doch was? War das was? Ach ja, der Mord an Cäsar, der hier nicht mit Messerstichen, sondern in einer Art Bohrmaschinen-Orgie fabriziert wird und überleitet zu einer Julius-Cäsar-Show. Shakespeares Drama ist nämlich auch ein Stück über die Verführbarkeit der Massen, die in zwei langen Reden an die Bürger Roms gipfelt. Und da bezieht das Ensemble das Publikum nun vollends mit ein, lockt es sogar zur Andacht auf die Bühne und spricht es in einer zur TV-Predigershow mutierenden Rede direkt an.
Das hält immerhin wach und ist auch eine ganz hübsche Abwechslung zu den (vielen) Szenen, in denen gerade jemand stirbt (Cäsar, Cassius, Brutus), gestorben ist und betrauert wird oder als Untoter noch mal über die Bühne schlendert (Cäsar, Portia). Doch diese Erweckungsszenen mit Einbeziehung des am Ende freundlich applaudierenden Publikums sind in dieser vor sich hin plätschernden Inszenierung nur eine grelle Hülle für eine ziemlich leere, nur pathetische Dramadarstellung. Ensemble und Regie haben (diesmal) nicht das Zeug dazu, ein Historiendrama packend in Szene zu setzen, wobei Persönlichkeiten und Regiekonzept ebenso packend sein müssten. Noch haben sie die Kraft, die Gegenwart mit Hilfe eines Klassikers etwas mehr zu erhellen oder wenigstens mit Hilfe einer Klassikerzertrümmerung konsequent durch den Kakao zu ziehen.
Nein, werte Shakespeare Company, angesichts dieses Vortrags verhält es sich so, dass die Wirklichkeit viel spannender als das Theater und die beste Parodie auf die Politik die Politik selbst ist. Und jetzt, da wir langsam die hintersten Ecken und stillsten Winkel dieses Feuilletons erreicht haben und uns nicht mehr scheren um Argumente und Begründungen, kommentieren wir schlicht: Das war einfach Scheiße! Christoph Köster
Aufführungen: 22., 23., 29. und 30.9, 19.30 Uhr am Leibnizplatz
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