Lob der Badehose

Ein Abgesang auf die Freibadsaison und ein nicht unwesentliches Utensil des Sommers

Das Flanieren in Badehosen gehört zu den größten Verirrungen des modernen Menschen

Jeder besitzt wenigstens eine. Sollte man meinen. Und da liegt meine, meine blaue Badehose, vor mir auf dem Schreibtisch.

Nicht verlangt sie starke Worte, diese blaue, mit einem kleinen und eigentlich überflüssigen Ziereffekt versehene Badehose – eine gute Badehose, eine neue, die mir im Spätsommer geschenkt wurde, weil mein Jahrzehnte benutztes Modell offenbar nicht länger den Standards des zeitgenössischen Outfits genügte.

Meine alte, grüne Badehose schlabberte zwar ein bisschen, aber der Nylonstoff war robust, die Kordel intakt. Als hätte sie sich der Vernutzung verweigert, die Kleidungsstücken und Gebrauchsgegenständen quasi von jener Natur aus, welche die Industrie schafft, eingebaut scheint, trug mich meine grüne Badehose zu Wettkämpfen und Trainingsstunden, in Hallen- und Freibäder, zu allen Jahreszeiten, bei jeder Witterung. Die Badehose trägt den Schwimmer zum Wasser, wie das Wasser den Schwimmer trägt. Man „trägt“ Badehosen nicht – über Laufstege etc.

Meine grüne Badehose stellte mich zufrieden. Sie, die leicht rutschte und routiniert justiert werden wollte, funktionierte. Den Schlüssel befestige ich, anders als manch gleichgesinnter Ausdauerschwimmer, am Handgelenk, nicht an der Bux, und deshalb hatte sie bloß dazusein und an zu sein. Mehr nicht. Auch die blaue Badehose, geringfügig fescher geformt, muss mich lediglich geleiten ins Wasser und dort tragen, und das tut sie am besten, wenn sie keine Botschaften und keine Schlüssel transportiert. Ich schwimme, um zu schwimmen, und nicht, um vor und nach einer Abkühlung zu promenieren. Das Flanieren in Badehosen gehört sicherlich zu den größten Verirrungen des modernen Menschen.

Gewiss, man zeigt Badehosen nicht nur, wo Schnitt, Farbe und Marke keine Rolle spielen. Camper, dünn oder dick, jung oder alt, schlüpfen in Badehosen, obschon sie gar nicht baden. Nicht baden noch schwimmen möchten italienische Männer am Comer See, berichtete ein Freund, doch Badehosen führen sie stolz spazieren, um zu renommieren. Nicht wenige präferieren grausam mischbunte Versionen.

Hat die Badehose, die schlichte, ausgedient? Viele klagen, die Sommersaison 2000 sei verkorkst und der Freibadbadehose nicht dienlich gewesen. Dem widerspreche ich. Kaum etwas bereitet feineres Vergnügen als das Pflügen durch ein unbevölkertes Becken. „In dem menschenleeren Becken schwimme ich meine Bahn und gleite dem hereinrauschenden Regen durch die kühlen Finger. Es hat Überwindung gekostet, aber ich wurde vom Wasser noch jedes Mal dafür belohnt“, preist John von Düffel („Kleine Philosophie der Passionen – Schwimmen“, München 2000) zu Recht das schöne, entspannende, rhythmisch vollkommene Regenschwimmen, ohne indes neben der Chlorbrille der Badehose zu danken. Undank gegenüber der Einfachheit scheint, Wetterverhältnisse hin und her, der kapitalistischen Welten Lohn zu sein. Beim Bundesligafußball, entnehme ich dem Radio, triumphieren jetzt „kultische Sturmhosen“, und abseits des albernen Beachvolleyballs flutschen im besonders flotten „olympischen Wasser“ (Kristin Otto) nun Ganzkörperdärme, so genannte „Haihäute“, Gummipuppen, die an klobige Taucher denken lassen, nicht an elegante Schwimmer.

Die Badehose, ein aussterbendes Stoffstück? Meine blaue Badehose und ich genießen jeden Schauer. Lob sei der Dialektik des kühlen Wetters und Wassers gespendet, Lob der Badehose, die, antizyklisch, höchstens schwaches Markenbewusstsein entwickelt. Taucherflossen heißen „Junior“, „Comfort“ und „Frontier“, Taucherbrillen und Schnorchel „Profi“, „Corallo“, „Plana CX“, „Air Free“ oder „Dry Top Comp“. Badeschlappen für den Balkonier heißen, erklärt Karstadts Aqua-Sport-Katalog, „Lido Ultra“ und „Fun-Sandale“, und Brillen mindestens „Dynamic“, „Speedway“ und „California“. Allein die simple Badehose, stiefmütterlich beworben, entbehrt wahrlich der Assoziationen Sonne, Strand und Adventure. Im Becken, das sich zwischen quietschnasser, stiller Liegewiese und klammen Kacheln öffnet, taugt die spartanisch betitelte „Olympia Badehose“ genauso wie das No-name-Produkt.

Georg Christoph Lichtenbergs Ratschlag folgend, verkaufe man eines seiner zwei Bücher und erwerbe eine Badehose, zum Verschenken. Der nächste Regen fällt bestimmt. JÜRGEN ROTH