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Asyl tabu für Kommission

SPD-Fraktionschef Struck und Grünenchefin Künast schließen Grundgesetzänderung aus

BERLIN taz ■ Die Schweizer entscheiden am Sonntag per Volksentscheid über eine Neuregelung der Zuwanderung. Die rechten Initiatoren wollen eine Ausländerquote von 18 Prozent durchsetzen. Das würde bedeuten, dass 100.000 Nichtschweizer raus müssen. Regierung und Wirtschaft sind vehement dagegen, weil sie im Gegenteil weitere dringend benötigte Arbeitskräfte ins Land holen wollen.

Das klingt vertraut. Auch in Deutschland warnen rechte Stammtischpolitiker unverdrossen vor den „Grenzen der Belastung“, während kühl denkende Unternehmer für erleichterte Zuwanderung plädieren. Nur wird es in Deutschland vorerst keine Volksabstimmung geben.

In Deutschland gibt es stattdessen eine von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) einberufene Zuwanderungskommission, die sich morgen in Berlin zu ihrer ersten Klausurtagung trifft. Offiziell ist sie unabhängig und „frei von Denkverboten und Tabus“. Doch der Wunsch des CDU-Kommissionsmitglieds Horst Eylmann, man möge der Expertenrunde „einige Monate Zeit geben, in der sie in Ruhe arbeiten kann“, wird unerfüllt bleiben.

Grünen-Chefin Renate Künast hat schon klar gemacht, dass sie nicht warten will, „bis uns die hinter geschlossenen Türen tagende Kommission im nächsten Jahr Ergebnisse vorlegt“. Das Thema Zuwanderung müsse weiter öffentlich diskutiert werden, sagte sie am Mittwochabend beim „Forum am Pariser Platz“ in Berlin. „Warum reden wir nur darüber, wer wegmuss?“, fragte Künast, „wir haben Einwanderungsbedarf und müssen die Frage stellen, wer muss her?“

Konkrete Antworten auf diese Frage, etwa Quoten ja oder nein, blieb Künast allerdings schuldig. Sie verzettelte sich vielmehr in unergiebigen Streitgesprächen mit den Unions-Innenministern Günther Beckstein aus Bayern und Jörg Schönbohm aus Brandenburg, die ihre altbekannten Klagen über den „Asylmissbrauch“ herunterleierten und die Grundgesetzänderung von 1993 verteidigten. SPD-Fraktionschef Peter Struck versuchte eine neue Diskussion um das Asylrecht zu verhindern. Becksteins Forderung nach einer „Institutsgarantie“ wies er zurück, und der Zuwanderungskommission machte er klar, dass es doch Tabus gibt: „Wenn die Kommission den Vorschlag machen sollte, den Grundgesetzartikel 16 abzuschaffen, wird das in meiner Fraktion keine Mehrheit finden.“

Struck strebt ein Einwanderungsgesetz noch vor der Bundestagswahl an. „Die Menschen haben Anspruch darauf, zu erfahren, was die Regierung plant.“ Wenn möglich, sollte über dieses Gesetz im Konsens mit der Opposition beschlossen werden. Vielleicht stehen die Chancen gar nicht so schlecht. Nicht einmal die Hardliner Beckstein und Schönbohm widersprachen, als Künast sagte: „Wir brauchen Zuwanderung, sonst sterben wir aus.“ Mehr als fraglich bleibt nur, ob die Union deshalb auf das bewährte Wahlkampfthema Asyl verzichten wird. LUKAS WALLRAFF

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