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Brisanter Stoff aus dem Jenseits

Der Tote, der Paris in Panik versetzt, fühlte sich bedroht. 1994 habe man ihm zu verstehen gegeben: „Von deinem Schweigen hängt die Wahl Chiracs ab“

aus Paris DOROTHEA HAHN

Der Mann, der Frankreichs Staatspräsident in dieser Woche in die größte Bredouille seines politischen Lebens bringt, ist tot. Gestorben im Juni 1999. An Krebs. Drei Jahre zuvor hatte Jean-Claude Méry ein Video aufzeichnen lassen, in dem er berichtete, wie er der RPR von Jacques Chirac jährlich „35 bis 40 Millionen Franc“ beschaffte – Bares für die Schwarzkasse. Unter anderem will er am 5. Oktober 1986 im Beisein des damaligen Premierministers Chirac 5 Millionen Franc (1,5 Millionen Mark) auf einen Schreibtisch im Regierungssitz gelegt haben. Jahre später und nachdem Chirac zum Staatspräsidenten avanciert war, will sich Méry nicht mehr sicher gefühlt haben. Das Video, so verfügte der Finanzier der RPR, „soll veröffentlicht werden, wenn mir etwas zustößt“.

Kurz vor dem morgigen Referendum über eine Verkürzung der Amtszeit des Präsidenten von 7 auf 5 Jahre hat die Tageszeitung Le Monde jetzt die Bombe aus dem Jenseits veröffentlicht. An zwei Tagen – in den Ausgaben von gestern und heute – brachte Le Monde Berichte über die Abläufe bei der illegalen Parteifinanzierung, die sich wie Polit-Thriller lesen.

Parallel dazu stellte die Zeitung Ausschnitte aus dem Video auf ihre Homepage (www.lemonde.fr). Darin ist Méry in weißem Hemd, mit Hosenträgern und Krawatte zu sehen, während er explosive Details aus seinem Berufsleben liefert. Vom Pariser Rathaus aus, wo Chirac von 1977 bis zu seiner Wahl zum Staatspräsidenten im Mai 1995 Bürgermeister war, will Méry illegale Parteispenden bei Unternehmen eingetrieben haben, die im kommunalen Auftrag tätig wurden. „Wir arbeiteten“, so Méry, „nur im Auftrag Chiracs.“

Das einstündige Video ist am 24. Mai 1996 bei der Dokumentarfilmgesellschaft Sunset Presse in Paris aufgezeichnet worden. Der Chef des Unternehmens, Arnaud Hamelin, will aus reinem Zufall an Méry geraten sein. Ein Bekannter habe ihn gefragt, ob er bereit sei, eine persönliche Beichte eines Freundes aufzuzeichnen, der sich bedroht fühle. Um ihn vor fremden Blicken zu schützen, führte er zwei Tage später seinen seltsamen Gast durch die Garage in das Studio. Danach will er Méry nie mehr begegnet sein.

Bereits am Donnerstag dieser Woche hatte Jacques Chirac persönlich in einer extrem heftigen, wenngleich kurzen Erklärung im Fernsehen das Video als „ungeheuerliche und unwürdige Verleumdung“ bezeichnet und verlangt, dass sich die Justiz des Themas annehme. Gestern Mittag bereits wurden die Räume des Dokumentarfilmers durchsucht.

Paradoxerweise war Hamelin zuvor bei den Medien auf Indifferenz gegenüber seinem Video gestoßen. „Mehrere Fernsehsender“, so sagte er Le Monde, hätten eine Veröffentlichung abgelehnt.

Der Tote, der jetzt Paris in Bewegung versetzt, war seit den 80er-Jahren eine schillernde Person der Polit-Welt. Zeitweise hatte er dem „ZK“ genannten Führungsorgan der RPR angehört. Nie machte er einen Hehl daraus, dass er sich um die Finanzen der von Chirac gegründeten neogaullistischen Partei kümmerte. Nur über seine Methoden gab er zu Lebzeiten andere Auskünfte. Den Untersuchungsrichtern, die ihn Mitte der 90er-Jahre mehrfach verhörten und 1995 inhaftierten, gestand er bloß, dass er die Unternehmen, die für Paris arbeiteten, „ermuntert“ habe, Geld an die RPR zu zahlen. Drohungen à la „Wenn ihr nicht spendet, bekommt ihr den Auftrag nicht“ hat Méry vor der Justiz stets geleugnet.

Auf dem Video hört sich das ganz anders an. Da ist Méry stolz darauf, dass „alle“ von seiner Arbeit profitiert hätten. Er habe günstige Angebote für die Stadt Paris aufgetrieben, er habe die Aufträge gerecht auf die Kleinen und Großen in der Branche verteilt, er habe Arbeitsplätze für Bauarbeiter geschaffen und schließlich auch für die Finanzierung der Parteien gesorgt.

Denn Méry kümmerte sich auch um die Einkünfte anderer Parteien. 1986 will er für einen Großauftrag zum Bau mehrerer Schulen in Paris 10 Millionen Franc eingetrieben haben, die er dann gemäß dem politischen Proporz in Paris verteilte: 5 Millionen Franc übergab er – am Sitz des Premierministers – an die RPR, 3,5 Millionen Franc an die Sozialistische Partei, deren Chef damals Lionel Jospin war, und 1 Million an die Kommunisten.

Schon Mitte der Neunzigerjahre, als er in die Fänge der Justiz geriet, hatte sich Méry gegenüber „Kollegen“ enttäuscht über die Undankbarkeit seiner Partei gezeigt. „Ihm ging es wie mir“, sagt heute der ebenfalls juristisch verfolgte Exfinanzier der PS, Gérard Monate, „die Parteien haben sich uns gegenüber nicht immer sehr gut benommen.“ In seinem Video wird Méry noch deutlicher. Man habe ihm 1994 gedroht, sagt er: „Von deinem Schweigen hängt die Wahl Chiracs zum Präsidenten ab.“

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