: Begehren als Andeutung
Das Filmfest Hamburg verleiht Wong Kar-Wai den Douglas Sirk-Preis und zeigt seinen „In the Mood for Love“ ■ Von Tobias Nagl
Dass Wong Kar-Wai dieses Jahr den Douglas Sirk-Preis mit nach Hause nimmt, ist fast eine kleine Sensation für sich – die aber spricht für das Filmfest Hamburg. Denn anders als auf den großen Festivals von Berlin bis Cannes, bei dem die Filme um die Gunst von Juroren kämpfen, dient das hiesige lediglich der Präsentation bisher in Deutschland ungezeigter Werke. Eine Preisverleihung hat da zunächst symbolischen Charakter. Der Name des Ufa- und Hollywood-Regisseurs Douglas Sirk ist bis heute mit einer gewissen melodramatischen Imagination verbunden, die das, was sie nicht ausdrücken darf, als Exzess auf die Oberfläche der Bilder zurückkehren lässt. Ein Sirk-Preis kann also nur Verpflichtung sein, soll er denn überhaupt Sinn machen.
Wie Sirks Kino ist das von Wong Kar-Wai auf geradezu obsessive Weise mit Bildoberflächen beschäftigt. Im Westen ist der in Shanghai geborene Filmemacher vor allem mit Chungking Express und Fallen Angels bekannt geworden, die nicht nur unzählige Generationen von Werbefilmern inspirierten, sondern deren urbane Handkamera-Impressionismen ihm auch den Ruf eines Godards für die MTV-Generation einbrachten. Zu Unrecht: Denn wo MTV uns die Glückseligkeit einer ewigen Präsenz im multinationalen Kapitalismus vorgaukelt, ist Wongs Kino unter seiner postmodernen Oberfläche entscheidend von Verlust gezeichnet.
Wenn in ihm immer weniger erzählt werden kann, ist das eben nicht nur Style: Jede Krise des Erzählens ist auch eine Krise der Erfahrung. Die affiziert gelegentlich sogar den Gehalt des Bildes als „Fingerabdruck“ (André Bazin) der Realität selbst: Wenn Figuren in Chungking Express in Slow-Motion ihren Kaffee trinken und im Hintergrund die Figuren vorbeihuschen, sind sie nicht nur alleine in einer Zeitblase eingeschlossen, sondern bewegen sich auch in einer immer weniger realen Welt. Bilder zirkulieren dann so frei und flüchtig wie das moderne Kapital oder digitale Informationen.
Glück ist dabei in Wongs Kino kaum mehr als das, was von Anbeginn an schon immer unmöglich war, ganz egal, ob man diese Nos-talgie allegorisch auf das Schicksal der einstigen Kronkolonie beziehen mag oder nicht. Wenn in einigen seiner Filmen in Ozuschen „Übergangseinstellungen“ Uhren zu sehen sind, dann vielleicht auch, weil die dem Melodram eigene Zeitlichkeit die des „zu spät“ ist. Figuren tauchen bei ihm auf oder ab, ohne dass sie, oder der oft ohne Drehbuch arbeitende Wong selbst, dafür Gründe liefern könnten. Das stellt ihn, bei allem Talent zur Selbstvermarktung, dann tatsächlich in eine Reihe mit europäischen Autorenfilmern wie Antonioni und entfernt ihn vom Genrekino nach amerikanischen Vorbild, das man bis 1997 so überaus erfolgreich in Hongkong pflegte. Keiner von Wongs Filmen – ob die Mean Streets-Hommage As Tears Go By, sein bis heute nie im Westen aufgeführtes opus magnum Ashes of Time, eine Martial-Arts-Parabel, die Joyce soviel verdankt wie Leone, oder sein Schwulendrama Happy Together – war in Hongkong so erfolgreich wie im Ausland. Im Gegenteil: Days of Being Wild, sein vielleicht schönster Film, wurde sogar als Days of Being Dumb parodiert. Erfolgreich.
Im 1990 entstandenen Days of Being Wild erzählt Wong Kar-Wai, kongenial-hypnotisch unterlegt von der Mambo-Melancholie Xavier Cugats, eine unerfüllte Dreiecksbeziehung im Hongkong der frühen 60er Jahre. Der zur selben Zeit spielende In the Mood for Love könnte der zehn Jahre lang angekündigte zweite Teil dieses Melodrams sein: Dafür spricht nicht nur, dass Maggie Cheung als Mädchennamen den ihrer Figur aus Days of Being Wild angibt, oder mit Tony Leung eine einstige Nebenfigur jetzt ins Zentrum rückt. In In the Mood for Love begegnen sie sich als Nachbarn einer Pension, die eine zarte Affäre beginnen, als sie erfahren, dass sie von ihren nie im Bild zu sehenden Ehepartnern betrogen werden. Zur Musik eines portugiesisch singenden Nat King Coles nähern sie sich so vorsichtig und höflich, dass alles Begehren kaum mehr als schüchterne Andeutung, mehr mood als love, zu bleiben scheint: Zerbrechlicher war der psychologische Kosmos Wongs selten.
In der Luft stehengebliebener Zigarettenrauch oder die aufwendigen Seidenkleider Maggie Cheungs, die allein schon den Sirk-Preis verdient hätten, erzählen mehr als die wenigen Worte, die Wongs Protagonisten wechseln. Wenn wir am Ende Footage von de Gaulles Besuch in Kambodscha 1966 sehen, dem Jahr der ersten kulturrevolutionären Unruhen in Hongkong, wirkt das nahezu wie ein postkolonialer Kommentar zur Welt der kolonialen Modernität, um die Wong nostalgisch trauert, da sie nicht nur nie wieder sein wird, sondern ohnehin nie sein konnte.
In the Mood for Love: heute, 20 Uhr, Cinemaxx + morgen, 19.45 Uhr, Zeise
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