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Aufgeben ist nicht

Von Friedrich dem Großen über Richard Wagner bis zu Hindenburg und den Nazis: Der hessische Ministerpräsident Roland Koch pflegt mit seinem „Durchhalten“ einen typisch deutschen Mythos

von RALPH BOLLMANN

Der Mann ist ein Phänomen. Immer enger zieht sich der Belagerungsring um die Wiesbadener Staatskanzlei. Vor drei Wochen schon ist sein engster politischer Freund gefallen, und der liberale Bündnispartner wankt. Doch was auch immer geschieht: Roland Koch lässt sich durch nichts beeindrucken.

Das Stück, das im Wiesbadener Staatstheater schon seit einem Dreivierteljahr vor ausverkauftem Haus gegeben wird, hat ein sehr deutsches Thema: Es handelt von germanischer Treue und eisernem Durchhalten – Tugenden aus den Tiefen des Nibelungenmythos, die mit der Götterdämmerung von 1945 endgültig erledigt schienen. Doch jetzt zeigt sich: In der hessischen CDU, der Partei eines Alfred Dregger, Manfred Kanther oder Roland Koch, hat diese Welt ihren eigenen Untergang überlebt.

Kein bundesdeutscher Politiker hat den friderizianischen Soldatenmythos so sehr verkörpert wie der einstige FDP-Vorsitzende Erich Mende, der dem Preußenkönig mit zunehmendem Alter auch äußerlich immer ähnlicher wurde. Es ist kein Zufall, dass Mende – obwohl er seinen Wohnsitz in Nordrhein-Westfalen behielt – nach dem Bruch mit der FDP ausgerechnet in der hessischen CDU eine neue politische Heimat fand. Denn die Koch’sche Tugend des Durchhaltens um jeden Preis, die in den beiden Weltkriegen ihren tragischen Höhepunkt gefunden hatte, fand ihren mythologischen Bezugspunkt stets in der Gestalt Friedrichs des Großen.

Dabei hatte Friedrich selbst weit weniger heroisch agiert, als es den Nachgeborenen erschien. Sein „Durchhalten“ gegen fast alle europäischen Mächte im Siebenjährigen Krieg war alles andere als ein politisches Programm, sondern nichts anderes als die Folge einer strategischen Notlage, in die er sich durch eine grandiose politische Fehleinschätzung hineinmanövriert hatte. Um dem selbst provozierten Angriff seiner Gegner zuvorzukommen, scheute er selbst vor einem krassen Rechtsbruch nicht zurück – dem Überfall auf das benachbarte Sachsen. Binnen zweier Jahre führte der Preußenkönig sein armes Land an den Rand des Zusammenbruchs.

Doch Friedrich gab nicht auf – und es geschah, worauf Hitler oder Hindenburg vergeblich warten sollten. Die Petersburger Zarin starb, die Konstellation der Mächte änderte sich, und nach vier Jahren schloss der König Frieden. Preußen hatte durch den Krieg zwar keine Gebiete gewonnen, aber immerhin auch keine verloren – und sich als europäische Großmacht etabliert. Der Fehler, den Friedrich als 44-Jähriger begangen hatte, war auf dem Rücken der Untertanen wieder ausgebügelt. Der König hatte seine Lektion gelernt: Er führte fortan keine Kriege mehr.

Die Epigonen zogen ganz andere Schlüsse. Die preußischen Generäle glaubten fortan an das „Mirakel des Hauses Brandenburg“: Nichts Geringeres als göttliche Fügung konnte es gewesen sein, was den eisernen Durchhaltewillen am Ende mit dem Sieg belohnt hatte. Nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch in der Politik galt das Florett einer geschmeidigen Taktik nichts mehr. Sieg oder Untergang – ein Drittes schien es nicht zu geben. „Deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen tun“, formulierte Richard Wagner – und gab mit seinem „Ring“ dem deutschen Endzeitmythos seine musikalische Form.

Auf diese Tradition konnte sich der phlegmatische Feldmarschall Hindenburg berufen, wenn er die Deutschen im Ersten Weltkrieg zum Durchhalten ermunterte. Das Unternehmen endete zwar im Desaster – doch der Mythos überlebte, weil ihm Kriegsunschuld- und Dolchstoßlegende zu Hilfe eilten. Erst 1945 war es damit endgültig vorbei. Offenbar musste der Untergangsmythos erst in letzter Konsequenz Wirklichkeit werden, bevor sich die Deutschen von ihm befreien konnten. Erst jetzt war das sture Durchhalten um jeden Preis desavouiert – auch wenn das sinnlose Ausharren vor Stalingrad noch viel Stoff für Landserheftchen bieten sollte.

Um Leben und Tod ging es seither nicht mehr – aber wenn um das politische Überleben gekämpft wird, dann zeigt sich, dass der Mythos unterschwellig weiterwirkt. Der taktische Rückzug eines Politikers, der einen Schritt zurückweicht, um bei der nächsten Gelegenheit wieder Anlauf nehmen zu können – er ist in Deutschland unbekannt. Dass ein Minister dreimal zurücktritt wie der Franzose Jean-Pierre Chevènement, das wäre auf der anderen Seite des Rheins undenkbar. Wer dort zurückweicht, hat sein Gesicht schon verloren. Er darf seine Karriere bestenfalls im Vorstand einer parteinahen Stiftung beenden.

Der nahe liegende Vergleich zwischen Kochs „Durchhalten“ und Kohls „Aussitzen“ wurde oft strapaziert, aber er trifft die Sache nur zum Teil. Das Untergangsdrama, das der Altkanzler inszeniert hat, ähnelt weniger der germanischen Mythenwelt als vielmehr einem Königsdrama von Shakespeare. Von Nibelungentreue gegenüber den Weggefährten von einst findet sich bei Kohl keine Spur – im Gegenteil: Nach dem Vorbild Richards III. zieht er die einstigen Getreuen mit in den Untergang.

Diesen Abstieg der „alten“ CDU kann nur noch einer aufhalten: Roland Koch. Die spezifisch deutsche Variante des Konservatismus, beladen mit all seinen irrationalen Ressentiments und altgermanischen Mythen – sie hat im hessischen Ministerpräsidenten ihre letzte Bastion gefunden. Fällt er, dann ist das Kohl’sche Zerstörungswerk vollendet. Nicht nur, dass die hessische Union dann wieder in jene Minderheitenposition zurückfällt, aus der sie von Dregger, Kanther und Koch mit eisernem Durchhaltewillen herausgeführt wurde. In der Führungsriege der CDU insgesamt ist dann nur noch ein aufgeklärter Konsveratismus westlicher Prägung vertreten – wenn auch in allen Schattierungen vom rechten Sauerländer Merz bis zur linken Ostdeutschen Merkel.

Sollte Koch fallen, bleibt die Frage nach dem Schuldigen nicht offen: Im Zweifel werden es die hessischen Liberalen gewesen sein, die ihren Treueschwur verletzten und den eisernen Landesvater meuchelten. Ohne Dolchstoßlegende ist eben noch keiner der deutschen Untergangsmythen ausgekommen.

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