man at work – heute: nils schumann, goldmedaillist mit diätischem lebenswandel
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Wäre dieser Lauf gestern nicht ein olympischer gewesen, sondern ein Grand Prix in Zürich oder Berlin, Nils Schumann hätte das Rennen über 800 Meter verloren.

Er ist der Mann für die Großereignisse, braucht die Vorläufe, die die Gegnerschaft mürbe machen, und einen Endlauf, in dem das Anfangstempo wohl temperiert ist. So wie diesmal. Nach zwei Stadionrunden inklusive der „ultralangen, grausamen Zielgeraden“ war das gesamte Feld hinter dem 22-Jährigen: Der Schweizer Andre Bucher, der vorher alles in Grund und Boden gelaufen hatte; auch der Däne Wilson Kipketer, der zu Schumann ein gespaltenes Verhältnis pflegt, seitdem ihm der Erfurter den Ellenbogen in die Rippen rammte. Schumann bahnt sich seinen Weg, wenn nötig mit dosierter Gewalt. Er war verschrien als Rempler, die Zeitungen schrieben wegen seines Laufstils vom „Schleicher“. Allein Schumann kümmert das wenig.

Trainer Dieter Herrmann, ein früherer Hindernisläufer über 3.000 Meter, hatte seine liebe Mühe mit Schumanns lockerer Auslegung vom Profitum. In endlosen Mantras redete er ihm die Flausen aus, dazu gehörte unkontrolliertes Bodybuilding in der Muskelbude eines Freundes, allzu heftige Touren durch Erfurts Altstadtlokale – und die Ernährung musste auch umgestellt werden. Im Frühjahr, als Schumann im kenianischen Hochland die Form aufbaute, begann die Diät. So kantig wie in Sydney zeichneten sich die Wangenknochen noch nie im Gesicht ab. Der Läufer, der für das Thüringer Dorf Großengottern auf Tartan geht und nebenan in Bad Frankenhausen aufwuchs, verbesserte im Vorlauf seine Bestzeit auf 1:44,22 Minute. Er verriert, er könne noch schneller. Beim Endlauf hielt die Zeit nach 1:45,08 an. Das reichte. Erneut staunte die Laufwelt, so wie nach dem Sieg bei der EM 1998 in Budapest, dem Prolog seiner Laufbahn, den damals bereits der umtriebige Manager Jos Hermens begleitete.

Schumann setzt die Tradition guter Mittelstreckler in Thüringen fort. Für den SC Turbine Erfurt starteten die Europameister Manfred Matuschewski und Manfred Fromm („Nils ist frech, ehrgeizig, selbstbewusst“), allerdings hat es der aktive Leichtathlet weniger mit der Vergangenheit. Die Schumann’sche Laufgruppe firmiert lieber unter dem Rubrum: „Junge Wilde“. VÖL