Das Regime Milošević hat den beschleunigten Rückzug angetreten: Ein Wahlsieg, aber noch nicht die Wende
Das Regime in Jugoslawien hat einen Rückzug angetreten, der sich von Tag zu Tag beschleunigt. Vorige Woche hieß es, Slobodan Milošević würde seine Gegner 100:0, dann etwas bescheidener, 10:0 besiegen, das Volk glaube nur ihm, seine Gegner seien Söldner der Nato. Nach den Wahlen behaupteten seine Mediensprecher, sein Sieg werde schon im ersten Wahlgang bestätigt sein. Später erklärten sie, er führe mit 44 Prozent gegen 40 Prozent für Vojislav Koštunica. Sensationell klang die Verlautbarung eines vorläufigen Endergebnisses durch die Zentrale Wahlkommission am Dienstag: Koštunica führe mit 48 Prozent gegen nur 40 Prozent für Milošević, es müsse eine Stichwahl am 8. Oktober geben.
Die Opposition würde jede Stichwahl haushoch gewinnen. Aus prinzipiellen Gründen und pragmatisch-politischen Überlegungen ließ sich der Stab Koštunicas jedoch auf keinen Kuhhandel ein. Koštunica hat das Vertrauen von mindestens 56 Prozent der Wähler bekommen, Milošević nur von 35 Prozent. Man dürfe diese mehr als 2,5 Millionen Menschen nicht um ihren Willen betrügen, ließ die Demokratische Opposition Serbiens verlauten, man fürchtet, Vertrauen zu verlieren, wenn man nicht auf den wahren Ausgang der Wahlen besteht.
Wenn nötig, wird die Opposition ihr Recht auf der Straße erkämpfen. Da sie noch immer über keine Rundfunksender verfügt, außer den oft gestörten Radio-Index der Studenten, wurden gestern in Belgrad Handzettel verteilt, die dazu aufriefen, den Wahlsieg von Koštunica vor dem Bundesparlament zu feiern – denn dort tagt die Wahlkommission. Gibt diese Kommission, die jeder für einen Sprecher des Regimes hält, nicht nach, stehen harte Auseinandersetzungen auf der Straße bevor.
Die Institutionen, auf die sich die Macht stützt, sind erschüttert. Es ist schwer vorstellbar, dass ein Polizeileutnant oder Feldwebel noch gegen das Volk vorgeht, auch wenn die in Panik geratenen Generäle es befehlen sollten.
Das Problem liegt anderswo. Zwar hat Milošević zweifellos das Präsidentenamt verloren. Aber wegen der 50 Sitze aus Montenegro, die der dortige Wahlboykott dem Regime geschenkt hat, haben seine Vertrauten die Mehrheit in beiden Kammern des Bundesparlamentes behalten. Koštunica muss wohl einen Vertreter seiner Gegner zum Ministerpräsidenten ernennen, der viel mehr exekutive Macht haben wird als der Präsident.
Dieser Wahlsieg ist nur der erste, wenn auch wichtige Schritt in Richtung eines tatsächlichen Machtwechsels. Die Wende ist er noch immer nicht. IVAN IVANJI
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