: Fremd im eigenen Genre
Wenige haben wie Torch die Geschichte des deutschen HipHop geprägt. Mit Advanced Chemistry begründete er das Gegenmodell zum Charts-Rap. Mit „Blauer Samt“ gibt er nun sein Major-Debüt – und verteidigt noch immer die Werte der HipHop-Solidargemeinschaft gegen die Industrierealität
von THOMAS WINKLER
Hey, wie war das noch mal? Ist deutschsprachiger Rap jetzt erwachsen? Ist DeutschHop eine Macht, eine kommerzielle gar? Wie sehen die Marktanteile aus? Was macht der Boom? Wie geht’s dem Hype? Und was sagen sie dazu, Frederik Hahn? Herr Hahn sagt dazu, freundlich, aber bestimmt, gar nichts. „Weißt du“, sagt der Mann, den die Welt nur als Torch kennt, „für diese Frage bin ich nicht der Richtige.“
Na, fragt man sich da, wer denn sonst? Denn auch wenn Torch dieser Tage mit „Blauer Samt“ gerade erst sein Debüt-Album herausbringt: es gibt nicht viele, die HipHop hier zu Lande entscheidender geprägt hätten. Als Jugendlicher begann der mittlerweile 29-Jährige mit Graffiti und Rappen. Mit seiner Heidelberger Crew Advanced Chemistry entwarf er Anfang der 90er-Jahre das Underground-Gegenmodell zum chartsfähigen Pop-HipHop der Fantastischen Vier. Und mit dem Label MZEE lieferte das Trio aus Torch, Linguist und Toni L. die Blaupause für die unabhängige Infrastruktur, die mittlerweile den Markt dominiert.
Sehr schnell wurden Advanced Chemistry allerdings auf ihre Rolle als rappendes Politbewusstsein reduziert. 1992 thematisierten sie mit „Fremd im eigenen Land“ ihr Dasein als Angehörige von Minderheiten in Deutschland – ein bis heute gültiger, eher noch aktueller gewordener Beitrag zur Migrantendiskussion. Dazu hielten sie ihre grünen Pässe hoch und wurden in den Zeiten von Mölln, Rostock-Lichtenhagen und Solingen zu Medienstars. „Man muss wissen, wann man schweigt und wann man redet“, sagt Torch heute über diese Zeit. „Wir haben sehr viel geredet.“ Es gab Interviews, auch in dieser Zeitung, in denen mit ihnen kein Wort über Musik gesprochen wurde. Irgendwann sei aber das, was man hatte sagen wollen, einfach gesagt gewesen.
Schon vor dem Solo-Album legte Torch das Thema Startum auf einer Maxi zu den Akten: „Wir waren mal Stars / Die Karriere ist vorbei, das war’s / Ihr rockt die Charts und wir hocken in den Bars“. So schlecht muss das in der Kneipe aber gar nicht sein: „Ihr habt den Stress und wir den Spaß“, heißt es weiter. Spaß allerdings, so scheint es, haben heute eher die anderen. Im Jahre 2000 ist deutschsprachiger HipHop so erfolgreich wie nie, und ein Ende ist nicht abzusehen. Aber Torch sagt, er habe in den letzten Jahren vor allem eins getan: „Urlaub von der deutschen Rap-Szene.“ Es hat ihn nicht interessiert, was da in Charts, Radio und TV stattfand. „Es findet statt, es ist ein großer Teil der Realität“, sagt er. Aber es ist nicht seine Realität. Deutscher Rap hat ihn nicht weiter interessiert, weil das, was hier zu Lande stattfand und weiter stattfindet, für ihn nur bedingt HipHop ist. „Ich muss mich immer reindenken, wenn jemand sagt, die HipHop-Szene macht dies oder das. Wie oft hör ich irgendwelche Rapper von Oli P. erzählen. Den kenne ich gar nicht.“
Torch muss Oli P. auch gar nicht kennen. Aber er wusste, worauf er sich einließ, als er nach Jahren relativer Ruhe beschloss, ein Solo-Album nicht nur auf seinem eigenen Kleinstlabel 360 Grad herauszubringen, sondern dazu mit dem Major V2 zusammenzuarbeiten, der in Berlin ansässigen Firma des ehemaligen Virgin-Tycoons Richard Branson. Torch legt Wert darauf, sich dennoch seine Unabhängigkeit bewahrt zu haben. V2 hat nicht den Künstler Torch verpflichtet, sondern einen Vertrag mit dessen Label 360 Grad abgeschlossen. Die Konstruktion soll Distanz schaffen. „Aber mir ist natürlich bewusst, dass ich da sehr wohl mitspiele.“
Distanz zum Mainstream zu wahren – dieses Bemühen ist „Blauer Samt“ auch musikalisch anzuhören: eine einsame Bassline, alle paar Meter ein Paff, darüber verloren ein paar Samples, fast verschwindend im Raum. Neben all den Produktionen, die momentan aus Stuttgart, Hamburg und mittlerweile auch aus Berlin kommen, ganz zu schweigen von den hoffnungslos überproduzierten Industrieprodukten, wirkt das mehr als spartanisch. Reduziert aufs Wesentliche, damit Platz bleibe für die Worte. „Je mehr Rap er hat, desto stärker ist Rap“, sagt Torch. „Manchmal hat es mich beim Schreiben einfach gestört, dass da jetzt ein Refrain kommen sollte.“ Also purzeln die Infos, Ansichten, Lehreinheiten auf 19 dichten Tracks, in denen Torch zwar ausführlich, aber nicht nur über HipHop spricht. Vom Liebeslied bis zur Kapitalismuskritik in „Gewalt oder Sex“.
Auch wenn Torchs Alleingang bei weitem privater ist, als es Advanced Chemistry je hätten sein können und wollen, finden sich immer noch Zeilen wie „Auf der Suche nach Identität, ein schwarzer Deutscher / Haiti ist weit und Ostpreußen fast noch weiter“ (aus: „In Deinen Armen“). Und: Endlich thematisiert jemand aus der Szene die dort grassierende Frauenfeindlichkeit, die im deutschen HipHop fast ebenso verbreitet ist wie im amerikanischen. Überhaupt fühlt sich Torch berufen, die Szene auch als Ganzes zu kritisieren. Eine Szene, die zuletzt nach außen einen so harmonischen Eindruck machte, während sie ihren kommerziellen Erfolg auskostete.
Eindringlich, ruhig und einnehmend – so wie er rappt, so spricht er auch. „Es gibt zwei verschiedene Realitäten“, sagt Torch. Die eine, die „Industrierealität“ aus Retortenrap und Denken in Chartsnotierungen. Und die seine, die zwar immer noch in Heidelberg stattfindet, aber in der HipHop international ist und solidarisch und weiter fest auf den bekannten vier Säulen aus Rappern, DJs, Breakdancern und Graffiti-Künstlern ruht. All die Jahre hat Torch Musik gemacht, aber seine Platten kamen teilweise nur in Italien heraus. Sein Zulu Sound System war immer aktiv und arbeitete von der Homebase Heidelberg aus mit Kollegen aus Italien, Belgien und der Schweiz zusammen. Und die alten Freunde sind nicht vergessen: Toni L. hat mehrere Gastauftritte auf „Blauer Samt“, und Linguist reiste aus London an, wo er inzwischen mit Familie wohnt, um Beistand zu leisten. Produziert zusammen mit Torch hat Boulevard Bou im gemeinsamen Studio in Heidelberg.
Von dort aus hat Torch die ganze Zeit sein kleines Label 360 Grad betrieben, wo die ersten Maxis von Acts wie Curse, DJ Stylwars und D-Flame herauskamen – Leuten, die mittlerweile selbst mit Major-Verträgen ausgestattet sind oder sich schon in den Hitparaden finden. Immer noch besprüht Torch manchmal Züge, auch in New York. Allerdings: „Ich muss schon zugeben, dass ich das nicht mehr so bringe. Das ist eigentlich vorbei für mich.“ Mit dem Alter werden die rechtlichen Konsequenzen dann doch konkreter.
Aus seiner Vergangenheit als jugendlicher Freestyler und Graffiti-Writer, aus seiner Freundschaft zu HipHop-Pate Afrika Bambaata, für dessen Zulu Nation er der erste deutsche Chapter Leader wurde, aus seinem Aufwachsen mit und für HipHop zieht er seine Konsequenzen: „Man sollte nie vergessen, wo man herkommt“, sagt er. „Wir werden immer klären, wer der beste Rapper ist. Aber ich weiß nicht, ob man dazu die Industrie braucht.“
Während der Underground aus Hamburg und selbst Polit-Rhetoriker wie Freundeskreis glauben, den Tiger reiten zu können, hat Torch sich gar nicht erst auf Marktmechanismen eingelassen und sich stattdessen „geweigert, im Fernsehen rumzuhopsen“. Zwar hat er im Jahre 1994 selbst ein Jahr lang die erste HipHop-Sendung im deutschen TV, „Freestyle“ auf Viva, moderiert. Aber heute schickt er das Team des Nachfolgemagazins „Mixery Raw Deluxe“ wieder nach Hause, wenn es ihm gerade nicht in den Plan passt. Bei „normalen Pop-Routinen“ mitzumachen, das „würde nichts bringen, mir nicht und allen anderen auch nicht. Dafür gibt es doch genug Hampelmänner.“
Das ist wohl wahr, aber halt auch der Kern des Problems. Denn diese Hampelmänner bestimmen inzwischen das Bild von HipHop in der Öffentlichkeit. Eine ganze Generation lernt nun HipHop als Popmusik kennen. Ein guter Teil der momentan aktuellen Rap-Acts, und erst recht die stetig wachsende Schar der Konsumenten, ist schon lange nicht mehr beeinflusst von Figuren wie Grandmaster Flash oder dem Torch-Übervater Afrika Bambaata, sondern aufgewachsen mit deutschem HipHop. „Das hat nicht Erfolg, weil es so viel HipHop in sich hätte“, sagt Torch über den HipHop, wie wir ihn kennen, ohne allerdings Namen zu nennen, „sondern weil es so viel Mittelstands-Wiedererkennungs-Schunkelscheiß hat.“ Diese Schunkelei hat dazu geführt, dass mittlerweile jede Friseuse in Deutschland zu wissen glaubt, was HipHop ist.
„Popmusik hat viel gewonnen“, sagt Torch über den von ihm misstrauisch beäugten Gang des Rap in die Charts, „Pop ist sehr viel besser geworden. Aber HipHop hat sehr viel verloren.“ Bleibt die Frage: Was verloren? Der Underground ist so lebendig wie eh und je. Unbeobachtet von der Öffentlichkeit, ist HipHop weiterhin präsent in den Jugendzentren und den Migrantenvierteln der großen Städte. Weiter werden Wände besprüht, auf Jams Freestyle gereimt. Geändert hat sich, dass die Grenzen durchlässiger sind. Zum einen wird durch die Erfolge die unabhängige Infrastruktur gestärkt, zum anderen haben auch etablierte Plattenfirmen längst begonnen, HipHop herauszubringen.
Plötzlich war deutscher HipHop da, ganz selbstverständlich, als wäre er immer schon dagewesen. Veteranen inklusive. Veteranen, deren Pionierarbeit fast vergessen ist. Veteranen, deren Versuche, am Boom teilzuhaben, fehlschlugen. Veteranen wie Cora E., G.E.R.M., Veteranen wie Torch eben. So könnte man nun wohl die Geschichte schreiben vom vergessenen Pionier, vom verbitterten Wegbereiter, vom einsamen Vorreiter. „Und wenn ich ein frustrierter Einzelgänger bin“, sagt Torch, „dann bin ich das halt, ist doch scheißegal.“ Er kann das sagen, weil er in seinem eigenen Koordinatensystem eh nicht gemessen wird am kommerziellen Erfolg. „Ich mache meine Rechnung vor Gott, nicht vor der Industrie.“ Auf seiner Platte rappt er Empfehlungen, die ihm von vielen Seiten den Oberlehrervorwurf einbringen werden: „Wir sollten lernen zu widerstehen.“
Er, das personifizierte schlechte Gewissen des DeutschHop, hat sich „ganz schön schwer getan die ganzen Jahre“, seine Songs rauszubringen. Ungefähr 300 hat er fertig geschrieben zu Hause auf Halde, vielleicht ein Fünftel davon aufgenommen, sich aber immer gefragt: „Was soll die Welt damit? Das sind doch meine Lieder.“ So klingen manche der Songs auf „Blauer Samt“ denn auch nach Rückzug ins Private, obschon ein Liebeslied wie „In deinen Armen“ auch als Abrechnung mit der eigenen HipHop-Vergangenheit lesbar ist. „Ich bin wohl eher vom Vortragen zum Schreiben gekommen, und das ist nun mal privater“, sagt der Mann, der dereinst deutschsprachigen Freestyle-Rap miterfand.
Trotz dieses Rückzugs ins Private wird Torch noch lange nicht wieder zu seinem bürgerlichen Alter Ego – auch wenn dem guten alten Frederik Hahn, „wo immer du auch bist“, gleich der erste Track auf dem Album gewidmet ist. „Es hat sich eigentlich auch nicht so viel verändert: Was raus muss, muss raus.“ Torch ist und bleibt alles, was er ist. Zuvorderst mit, von und durch HipHop und bleibt also Torch. „Ich wusste als Kind nie, was ich werden wollte“, sagt er, „weil ich immer das Gefühl hatte, dass ich schon was bin.“ Dazu grinst er breit, sehr breit. Und wenn man sich recht erinnert, dann grinste er schon damals, vor nun bald zehn Jahren hinter seinem hochgehaltenen Pass exakt dasselbe Grinsen.
Torch: „Blauer Samt“ (V2)
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