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Macht der Verlierer

Die Opposition feiert. Ein Wahlverlierer könnte ihr ein entscheidender Helfer werden

aus Belgrad ANDREJ IVANJI

Jubel, Freude, Begeisterung. Musik, Tanz, ausgelassene Stimmung. Auf den Straßen und Plätzen Serbiens wird der Sieg der serbischen Demokratischen Opposition (DOS) gefeiert. Hunderttausende Belgrader kamen Mittwochabend triumphierend ins Stadtzentrum. Es war ein Volksfest, eine Hochstimmung nach dem überzeugenden Wahlerfolg. Man kam, sich selbst zu gratulieren und den „neuen jugoslawischen Präsidenten“ zu begrüßen – Vojislav Koštunica.

„Liebe, tapfere Mitbürger, befreites Volk, wie haben gewonnen!“, sagte Koštunica. Und zwar trotz der Lügen und der Gewalt von Slobodan Milošević. „Er ist am Ende!“ war das Motto des Festes. Das Regime habe wieder einmal versucht, die Wahlen zu fälschen, und wolle ein Stichwahl erzwingen, sagte Koštunica: „Wir werden aber mit ihnen nicht feilschen, denn dann würden wir zugeben, dass der Wille eines Menschen wichtiger ist als der Wille des Volkes!“ Die Tatsache, dass das Regime den Sieg von Koštunica in der ersten Wahlrunde nicht anerkennen möchte, konnte den seligen Augenblick der Genugtuung nicht trüben.

Dagegen herrscht bei allen anderen Parteien eine Weltuntergangsstimmung. Nicht nur die Milošević-Sozialisten und die „Jugoslawische Linke“, unter dem Vorsitz seiner Gattin Mira Marković, mussten eine schwere Niederlage einstecken; auch die ultranationalistische „Serbische Radikale Partei“ (SRS), Führer Vojislav Šešelj, und die „Serbische Erneuerungsbewegung“ (SPO), angeführt von Vuk Drašković, haben die schlechtesten Wahlergebnisse seit ihrer Gründung erzielt.

Ganz abgesehen von dem bevorstehenden Machtkampf zwischen Regime und DOS, hat sich die politische Landschaft Serbiens nach diesem Wahlgang fundamental verändert. Die Präsidentenkandidaten von SRS und SPO haben 6,12 und 3,15 Prozent der Stimmen erhalten, und viel besser haben die beiden Verliererparteien auch auf der Bundes- und Kommunalebene nicht abgeschnitten.

Vor allem die SPO, die bisher stärkste Oppositionspartei, hat rund 600.000 Wähler verloren. Drašković übernahm die ganze Verantwortung für das Fiasko. Er gratulierte Koštunica und bot formal der Parteiführung seinen Rücktritt an. Das Wahlergebnis in Belgrad illustriert am besten die katastrophale Lage der SPO, die bisher in der Hauptstadt regierte: Von 110 Abgeordnetenplätzen im Stadtparlament gewann DOS 105 und die SPO nur 4 Mandate. Drašković’ Eitelkeit, sein ewiges Taktieren und seine Ausflüge in die Regierung wollten seine Anhänger nicht mehr tolerieren.

Vojislav Šešelj wurde von seinem Wahlvolk für die Koalition mit den zwei Parteien des Ehepaars Milošević/Marković bestraft. Šešeljs traditionelle Wähler sind orthodoxe serbische Nationalisten, die ihn vor seiner direkten Zusammenarbeit mit dem Regime für einen Oppositionspolitiker hielten. Auch Šešelj bot seinen Rücktritt an und gratulierte Koštunica und DOS zum Sieg.

Doch gerade die Verliererpartei SRS könnte das serbische Machtsystem endgültig zerstören. Nur mit Šešeljs Abgeordneten hat Milošević die Mehrheit im serbischen Parlament, außerdem besetzt die SRS fast 50 Prozent aller Ministerposten in der serbischen Regierung. Šešelj, der als ein listiger Politiker gilt, könnte sich entscheiden, im letzten Augenblick auf die Seite der Sieger überzuwechseln, eine Regierungskrise in Serbien auszulösen und vorzeitige Parlamentswahlen zu erzwingen, um sich und seine angeschlagene Partei zu retten. Gerüchten zufolge wurden schon erste Gespräche zwischen DOS und SRS geführt.

Zu den Verlieren gehört jedoch auch der Präsident Montenegros, Milo Djukanović. Nur dank seiner Fehlentscheidung, die Wahlen zu boykottieren, konnte die linke Milošević-Koalition die absolute Mehrheit im Bundesparlament behalten, anstatt auf allen Ebenen katastrophal geschlagen zu werden. Milošević’ bisher energischster Gegner hat vorerst die Haut des jugoslawischen Präsidenten gerettet, der durch die staatlichen Medien wenigstens diesen einen Sieg vorweisen kann.

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